Glück, Zufall, Können
27. Juni 2007Die Deutschen haben die Europäische Union zielorientiert und gut organisiert geführt. Verglichen mit anderen Präsidentschaften war die deutsche sicherlich eine der erfolgreicheren. Das hat aber nicht unbedingt immer mit Können zu tun, sondern ist auch Glück und Zufällen geschuldet. Viele Richtlinien, die unter deutschem Vorsitz zustande kamen, sind von anderen Präsidentschaften schon lange vorbereitet worden. Es dauert ja in der Regel zwei bis vier Jahre, bis ein europäisches Gesetz auf den Weg gebracht wird. Überhaupt wird die Wirkkraft von EU-Präsidentschaften oft überschätzt. Sie kann nur so groß sein wie der politische Willen zum Kompromiss in den mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten.
Geschick und Geduld
Mit großem Verhandlungsgeschick und engelsgleicher Geduld ist es der Ratsvorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel, gelungen, einen etwas holprigen Weg aus der Verfassungskrise zu finden. Der neue Text, der auf dem Gipfel als Kompromiss gefunden wurde, bleibt zwar hinter den Erwartungen zurück. Aber immerhin hat die EU bewiesen, dass sie nach zwei Jahren interner Dauerkrise noch handeln kann.
Doch die Einigung hatte ihren Preis. Das Verhältnis zwischen dem Rest der EU und Polen ist stark belastet. Die Polen prügelten die Union und meinten doch die Deutschen, die nun einmal turnusgemäß den Vorsitz hatten. Von der feierlichen Stimmung der gelungenen Berliner Geburtstagfeier im März für die Europäische Union, die in der deutschen Präsidentschaft zufällig 50 Jahre alt wurde, ist nichts geblieben.
Der zweite Erfolg
Der zweite herausragende Erfolg für die Bundeskanzlerin ist die Festlegung der EU auf konkrete Klimaschutzziele beim Gipfeltreffen in März. Als Doppel-Präsidentin der EU und der Gruppe der acht führenden Industriestaaten hat Angela Merkel für das Klima erreicht, was zurzeit politisch durchzusetzen war. Sie hat sich dem amerikanischen Präsidenten angenähert und gleichzeitig mehr Distanz zum russischen Präsidenten aufgebaut. In den letzten sechs Monaten hat sich das Verhältnis zwischen der EU und Russland weiter abgekühlt. Die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mussten erneut verschoben werden. Um von Russlands Öl- und Gasquellen unabhängiger zu werden, versucht die EU konsequent, sich den energiereichen zentralasiatischen Republiken anzunähern - auch das ein Verdienst der deutschen Präsidentschaft.
Im Nahen Osten hätte keine EU-Präsidentschaft etwas ausrichten können, die Verhältnisse dort sind einfach von Europa aus schwer zu beeinflussen. Jetzt hat sich die EU unter deutscher Führung im palästinensischen Zwist ganz auf die Seite der Fatah geschlagen. Es ist noch nicht klar, ob dieses Kalkül aufgehen wird.
Bei den Beitrittsgesprächen mit der Türkei wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Türken und Zyprer konnten sich nicht einigen. Die Bundeskanzlerin war nicht unglücklich, dass der neue französische Präsident die Öffnung wesentlicher Verhandlungskapitel blockiert. Schließlich ist sie als CDU-Vorsitzende ebenfalls dafür, der Türkei nur eine privilegierte Partnerschaft anzubieten.
Erfolge und Scheitern
Gemischt ist die Präsidentschaftsbilanz bei Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Die Roaming-Gebühren für Mobilfunkgespräche im Ausland werden sinken. Der bargeldlose Zahlungsverkehr in der EU wird billiger und schneller. Der Luftverkehr mit den USA wird einfacher. Der Bundeslandwirtschaftsminister setzte niedrigere Fischfangquoten zum Schutz bedrohter Bestände durch. Der Abbau der Subventionen für Wein hingegen ist am Widerstand der großen Weinanbauländer gescheitert. Das Navigationssatelliten System Galileo kann nur mit Finanzspritzen aus Brüssel am Leben gehalten werden. Die Aufhebung des Briefmonopols für staatliche Firmen in Europa ist gescheitert. Zugreisende im nationalen Verkehr müssen weiter auf Entschädigungen bei Verspätungen warten. Das Medienrecht in der EU wird mit der Fernsehrichtlinie neu geordnet. Mehr Werbung wird wohl die Folge sein.
Die portugiesische Präsidentschaft, die jetzt nachfolgt, erbt eine ganze Reihe unerledigter Aufgaben. Der neue EU-Vertrag, der bis Ende des Jahres stehen soll, und der Versuch Frankreichs, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vollends zu stoppen, werden die wichtigsten Baustellen sein. Die Beamten der deutschen EU-Botschafter in Brüssel werden erst einmal aufatmen. Der Botschafter selbst geht fröhlich in den Ruhestand und will 'ans Ende der Welt', nach Feuerland, reisen und nichts mehr von der EU hören. Seine Nachfolger werden viel Zeit haben sich auf die nächste Ratspräsidentschaft Deutschlands vorzubereiten. Die ist, sollte der Turnus so bleiben, in vierzehneinhalb Jahren vorgesehen.