Götterdämmerung für Theresa May
Sie hat die Wahlniederlage im Juni überstanden und den chaotischen Verlauf der Brexit Verhandlungen. Jetzt aber könnte der sich ausweitende Skandal um sexuelle Anzüglichkeiten und Übergriffe in der konservativen Partei Theresa May den Kopf kosten. Die #MeToo-Kampagne ist von Hollywood hinüber geschwappt nach Westminster, und die britische Premierministerin scheint der Macht der Veröffentlichungen über Altherrenwitze und wandernde Hände in den eigenen Reihen nicht gewachsen.
Stürzt May über eine Rücktrittsserie?
Erstes Opfer der Säuberungen war Verteidigungsminister Michael Fallon. Erst wurde öffentlich, dass er eine Journalistin ans Knie gegriffen habe, dann beschuldigte ihn Parteikollegin Andrea Leadsom eines selten dämlichen Spruches über einen "Platz für ihre kalten Hände". Stimmt ihre Darstellung, wäre das Niveau der Anzüglichkeiten in Westminster tatsächlich schockierend niedrig.
Das letzte Gerücht betrifft Mays Stellvertreter Damian Green. Auch er soll ohne Einladung ein Knie getätschelt haben. Muss er ebenfalls gehen, wird es für die Premierministerin eng. Für eine umfassende Kabinettsumbildung fehlt ihr der Rückhalt in der eigenen Partei und in der Bevölkerung. Kommt es in den nächsten Tagen und Wochen zu einer tröpfelnden Serie von Enthüllungen und Rücktritten, wird Theresa May den Aufruhr kaum überleben.
In Westminster kursiert ein Geheim-Dossier über sexuelle Übergriffe und sexistische Sprüche von Abgeordneten und Parteioberen. Erscheint der Inhalt in täglichen Portionen in der Presse, könnte der Londoner Politikbetrieb implodieren.
Der Untergang des Römischen Reiches
Weil es Theresa May derzeit kaum jemandem Recht machen kann, führte auch ihre Berufung eines neues Verteidigungsministers zu einem kollektiven Wutanfall in ihrer Partei, den Tories. Der Nachwuchspolitiker und nun neue Verteidigungsminister Gavin Williamson sorgte zuvor für Disziplin in der Parlamentsfraktion und erwarb seinen speziellen Ruf durch ein Terrarium in seinem Büro, bewohnt von einer Vogelspinne - was die giftigen Zungen bei den Tories anregte, Theresa Mays Regierung mit dem Untergang des Römischen Reiches zu vergleichen. Die Ernennung von "Giftspinne Williamson" stamme "aus dem Lehrbuch des Kaisers Caligula, dessen letzte Amtshandlung es war, sein Lieblingspferd zum Senator zu ernennen", zitiert die "Financial Times" einen anonymen Konservativen.
Beobachter vergleichen das gegenwärtige politische Klima in London mit den letzten Tagen der Regierung Major oder der Stimmung während des Abrechnungsskandals, der die Regierung Gordon Brown fast in den Abgrund getrieben hätte. Aber dieses Mal geht es um mehr als die Renovierung von Schlossgräben und Entenhäusern auf Kosten des Steuerzahlers. In einer großen Woge werden jahrelang verdeckte Vorfälle nach oben gespült, die ein Klima der Einschüchterung und sexuellen Übergriffigkeit in der britischen Politik zeigen. Oder wie soll man das Benehmen eines Abgeordneten werten, der seine Assistentin vor Zeugen (frei übersetzt) "Schnuckel-Möpse" nennt?
Eine kurze oder eine längere Götterdämmerung?
Theresa Mays beste Chance die gegenwärtige Serie der Enthüllungen zu überleben wäre, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Aber dafür reicht ihre politische Kraft nicht, sie steht als Getriebene da. Und darüber hinaus schafft sie es nicht mehr, überhaupt noch Politik zu machen.
Der Brexit gerät zunehmend außer Kontrolle, im Parlament steht ihr demnächst eine Abstimmungsniederlage bevor. Die Verhandlungen in Brüssel dümpeln führungslos. Noch im November muss ein Haushalt verabschiedet werden, in dem das Geld für wichtige Aufgaben fehlt. May aber stolpert von einer Fallgrube zur nächsten und hinter ihrem Rücken schleifen ihre Gegner die Messer.
Schafft die Premierministerin es noch über die Strecke bis Weihnachten? Die politischen Wahrsager sind sich schon einig: 2018 gibt es Neuwahlen in Großbritannien. Das britische Königreich ist nicht zu beneiden um diese interessanten Zeiten.
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