Ich kenne Boris Becker nur flüchtig. Am Rande einer TV-Aufzeichnung bin ich ihm vor Jahren einmal begegnet: Ein höflicher, großgewachsener Mann im Nadelstreifen-Anzug wartete im Backstage-Bereich auf seinen Auftritt vor den Kameras. Becker wird die Begegnung schnell vergessen haben. So viele Journalisten in all den Jahren!
Nein, das stimmt nicht. Ich kenne Boris Becker in- und auswendig, bilde ich mir ein. Als Tennisfan gibt es kein wichtiges Spiel von ihm, das ich nicht verfolgt habe. Wie viele in Deutschland, die den 7. Juli 1985 am Fernseher verbrachten.
Wimbledon-Sieger mit 17! Der jüngste Champion dort aller Zeiten. Danach: erfolgreicher Tennis-Profi, sechsfacher Grand-Slam-Sieger. Einer der größten Sportler, den unser Land je hervorgebracht hat. Der Becker-Hecht, die Faust. All diese Bilder. Liebling der Boulevard-Schlagzeilen.
Im Aufzug nach oben, im Aufzug nach unten
Doch dann? Der Satz von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner über Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung fällt mir auch beim Nachdenken über Boris Becker ein: "Wer mit BILD im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten!" Die Schlagzeilen des vergangenen Sommers haben Becker nach unten gezogen: Millionen-Schulden bei einem Londoner Bankhaus, horrende Zinsen, außerdem Verbindlichkeiten beim Schweizer Geschäftsmann Hans-Dieter Cleven. Ist Boris Becker bankrott?
Beckers Leben bis hierhin erscheint mir wie ein Fünfsatz-Match. Er hat lange geführt, doch Fünfsatz-Matches dauern ihre Zeit, Rückschläge inbegriffen. Gewinnen wird dieses Match nur, wer sich von diesen Rückschlägen nicht herunterziehen lässt.
Die Rückschläge im Leben von Boris Becker begannen, nachdem er 1999 seine Sportlerkarriere beendet hat. Die Affäre in der Londoner "Besenkammer", die mäßig erfolgreichen Autohäuser, die gescheiterte Ehe mit Barbara, später die peinlichen Auftritte in TV-Shows mit seltsamen Kopfbedeckungen.
Wie KÖNNEN die nur?
Becker ist da nicht alleine: Jan Ullrich als Doping-Sünder, Franz Beckenbauer als Steuer-Hinterzieher, Lothar Matthäus als Frauen-Held - wie KÖNNEN die nur? Die Empörung des Boulevards entspricht unserer nationalen Stimmungslage. Wir lieben unsere Helden, solange sie Erfolg haben. Ihre Untiefen wollen wir nicht akzeptieren, auch wenn wir jedes Detail, jedes Gerücht interessiert zur Kenntnis nehmen.
Sieg und Niederlage - zwei Blender
Warum ist das nur so? Weil wir Deutsche in den Erfolg vernarrt sind und dabei übersehen, dass die Niederlage dazu gehört. Über der Tür zum Center-Court in Wimbledon stehen die klassischen Zeilen von Rudyard Kipling: "If you can meet with triumph and disaster / And treat those two impostors just the same." Übersetzt in etwa: "Wenn Du mit Sieg und Niederlage umgehen kannst / Und diese beiden Blender gleich behandeln kannst."
Das ist der Grund, warum Tennis eine gute Schule für das Leben ist. Becker zitiert Kipling gerne und hat ihn verstanden, so wie er das Spiel besser verstanden hat als die meisten anderen. Seit seinem ersten Wimbledon-Sieg ist er in Großbritannien beliebt. Als Tennis-Kommentator gehört er zu den besten seines Fachs. In der Szene ist er aufgrund seiner Erfahrung und seiner Expertise überall hoch anerkannt. All das wurde hier in Deutschland lange ausgeblendet. Erst sein Trainerjob an der Seite von Novak Djokovic änderte dieses Bild.
Es muss kein Zufall sein, dass auch das Pech des Serben seinen Anfang nahm, als Becker wegen Unstimmigkeiten über Trainingsumfang und andere Einflüsterer an der Seite von Novak Djokovic Ende 2016 den Job aufgab. Becker und Djokovic, das waren über Jahre eine Win-Win-Situation. Vorbei. Für beide.
"Ich war noch nie Euer Boris"
Boris Becker wird an diesem Mittwoch 50 Jahre alt. Er ist Vater von Amadeus (7), Anna (17), Elias (18) und Noah (23). Mit seiner Frau Lilly lebt er in London. Zu seinem Geburtstag hat die ARD ihm einen 90-Minuten-Film gewidmet. Ihn nutzt Becker dazu, sein Verhältnis zu den Deutschen neu zu ordnen, zu uns allen, die ihn so zu kennen glauben. "Ich war noch nie Euer Boris", sagt dort ein Mann, der uns Respekt abfordert. "Noch nie. Ich war immer bei mir." Ein Missverständnis, seit 30 Jahren.
In dem Film sieht man den schwer von den Sportstrapazen gezeichneten Mann mit einem Zigarillo durch Paris humpeln: kaputte Hüfte, zerstörtes Sprunggelenk. Victor Valderrabano, der Schweizer Chirurg, der sich Beckers Fuß annimmt, nennt es erstaunlich, dass der Patient sich überhaupt so bewegen kann. Andere Menschen würden mit einer solchen Deformation des Fußgelenks im Rollstuhl zu ihm kommen.
Nicht Boris Franz Becker, der Mann, der einst "unser Boris aus Leimen" war. Herr Becker wird auch diesmal den Drachen besiegen. Er hat unsere Verehrung verdient. Mit 17, und mit 50 erst recht.
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