Kommentar: Bankrotterklärung
6. November 2014François Hollande wollte ein "normaler" Präsident sein. Von seinem konservativen Vorgänger, dem hyperaktiven, polarisierenden, oft ein wenig vulgär wirkenden Nicolas Sarkozy, der sich zusammen mit seiner glamourösen Frau Carla Bruni oft aufführte wie ein Operettenkönig, hob sich Hollande für viele Franzosen wohltuend ab. Heute wünschen sich nach einer Umfrage ganze vier Prozent der Franzosen, dass Hollande bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 noch einmal antritt. Er ist zum unbeliebtesten Staatschef der Fünften Republik geworden.
Nichts als Niedergang
"Normal" bedeutete im Fall von François Hollande vor allem Passivität und Führungsschwäche. Leider kann Frankreich in seiner jetzigen Situation nichts schlechter gebrauchen als einen Staatspräsidenten mit diesen Eigenschaften. Die Wettbewerbsfähigkeit der einst stolzen Nation sinkt und sinkt, ebenso ihr Weltmarktanteil. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau. Vor allem die Jugend sieht sich als chancenlos. Das Haushaltsdefizit liegt schon jahrelang über dem europäischen Grenzwert; es steigt weiter und wird nach der jüngsten Prognose der Europäischen Kommission 2016 das höchste der ganzen Eurozone sein. Ganz Europa wartet gespannt, ob der von Frankreich entsandte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici seinem eigenen Land deswegen die Leviten lesen wird.
Ist Deutschland schuld?
Der Abstieg ihres Landes, vor allem im Vergleich zum kraftstrotzenden Nachbarn Deutschland, ist demütigend für die Franzosen. Er verletzt ihren Stolz. Dafür ist natürlich nicht allein Hollande schuld, die Misere hat tiefsitzende Gründe. Der völlig aufgeblähte Staatsapparat gehört dazu, die Deindustrialisierung und auch ein überhöhtes Anspruchsdenken der Bürger. Aber Sarkozy hatte wenigstens versucht, an einigen grundsätzlichen Schwächen Frankreichs etwas zu ändern. Hollande dagegen hat die Probleme erst ignoriert und sie dann auf die europäische und vor allem die deutsche Sparpolitik geschoben und so getan, als müssten Deutschland und andere ohne Rücksicht auf den Schuldenstand nur genug Geld für Konjunkturprogramme ausgeben, dann werde sich alles richten. Es war eine billige Tour, um von eigenem Versagen abzulenken.
Heimliche Liebschaft
Steht Hollande innenpolitisch das Wasser seit langem bis zum Hals, außenpolitisch hat er sich als starken Mann gegeben: Er befahl eine Militärintervention in Mali und befürwortete eine in Syrien gegen Präsident Baschar al-Assad, zu der es freilich nicht kam, weil ihm die Verbündeten dazu fehlten. Das zeigte immerhin Tatkraft. Verheerend für sein Image waren dagegen Bilder aus seinem Privatleben. Die Paparazzifotos vom Staatschef, wie er, unrasiert und mit Motorradhelm getarnt, angeblich zur Wohnung seiner Geliebten Julie Gayet aufbricht, gingen um die Welt. Die Franzosen mögen die Liebesaffären ihrer Präsidenten tolerieren, aber wenn das Staatsoberhaupt eine lächerliche Figur abgibt, hört der Spaß auf.
Profiteurin Le Pen
Und wenn das alles nicht reichen würde, kommt für den angeschlagenen Präsidenten noch das Phänomen Le Pen dazu. Und hier hört der Spaß erst recht auf. Marine Le Pen, die Anführerin des rechtsextremen Front National, profitiert nicht nur von der französischen Malaise, sondern auch vom Absturz von Hollande. Mit ihren einfachen Rezepten von französischer Souveränität und Abschottung gegen die Globalisierung bringt sie die Pariser Elite gewaltig in die Bredouille. Hollande und seine Leute versuchen in ihrer Verzweiflung inzwischen sogar, Deutschland unter Druck zu setzen, indem sie warnen, ohne staatliche Wachstumsprogramme werde der Extremismus siegen. Was für ein Offenbarungseid!
Zur Häme kein Grund
Doch so ärgerlich dieser Erpressungsversuch auch ist, die politische Lage in Frankreich, nicht nur die wirtschaftliche, gibt tatsächlich genug Grund zur Sorge. Umfragen zufolge hat Le Pen gute Chancen, bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2017 in die Stichwahl zu kommen; manche sehen sie gar schon im Elysée-Palast. Es wäre eine Katastrophe für Frankreich und für Europa. Deshalb sollte sich niemand über den Abstieg Frankreichs und die verheerende Halbzeitbilanz seines Präsidenten hämisch die Hände reiben. Gerade Deutschland tut gut daran, seinen wichtigsten Partner zu unterstützen, Gemeinsamkeiten zu suchen, Kompromisse möglich zu machen, auch wenn die ideologischen Gegensätze zwischen Berlin und Paris im Moment oft groß sind. Hollande mag als Präsident bisher versagt haben, doch die deutsch-französische Partnerschaft darf nicht darunter leiden.