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Fahrlässig

Felix Steiner24. August 2014

Sind Waffenlieferungen aus Deutschland an die kurdischen Peschmerga wirklich das einzige Mittel, wie sich die Terroristen des "Islamischen Staates" bekämpfen lassen? Felix Steiner meldet erhebliche Zweifel an.

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Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Würde man die Waffenhilfe für die irakischen Kurden zum Gegenstand einer Volksabstimmung machen, wäre das Ergebnis eindeutig: Rund zwei Drittel der Deutschen lehnen diese ab. Doch während Angela Merkel den Volkswillen sonst gerne zur Richtschnur ihres Handelns macht - zum Beispiel beim übereilten Ausstieg aus der Atomkraft und der sogenannten Energiewende, die Bürger wie Unternehmen inzwischen Milliarden kostet - zählen Umfragewerte hier gar nichts.

Damit steht die Kanzlerin in einer großen Tradition. Denn nahezu jede das Militärische betreffende Entscheidung in der Geschichte der Bundesrepublik wurde gegen den in Umfragen artikulierten Willen des Volkes getroffen: die Wiederbewaffnung in den 1950er-Jahren, der NATO-Doppelbeschluss in den frühen 1980er-Jahren, auch der Kosovo-Krieg 1999 und der Afghanistan-Einsatz seit 2002. Den Deutschen ist seit der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges die Begeisterung für alles Militärische gründlich vergangen. Das mögen ausländische Beobachter mit anderen historischen Erfahrungen regelmäßig belächeln - man muss es einfach zur Kenntnis nehmen. Außerdem - und auch das ist kein Zufall - haben das Verbot eines Angriffskrieges sowie die Kriegswaffenkontrolle in Deutschland Verfassungsrang!

Felix Steiner (Foto: Deutsche Welle)
DW-Redakteur Felix SteinerBild: DW/M.Müller

Kriegseinsätze mit moralisch überhöhten Begründungen

Aus diesem Grund wird militärisches Engagement Deutschlands außerhalb des NATO-Raums von den Regierenden regelmäßig moralisch vollkommen überhöht: 1999 war es der grüne Außenminister Joschka Fischer, der "nie wieder Auschwitz" rief und damit einen Völkermord der Serben an den Kosovo-Albanern unterstellte. Wenige Wochen später stellte sich dann heraus, dass das größte Elend der Kosovaren erst unter dem Eindruck der NATO-Luftangriffe entstand. Am Hindukusch werde die "Sicherheit Deutschlands" verteidigt, ließ Verteidigungsminister Peter Struck 2002 wissen. Seither werden in Afghanistan Opium-Rekordernten unter NATO-Aufsicht eingefahren. Doch nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich aus jeder Kriminalitätsstatistik herauslesen: Die Gefahr, dass ich Opfer der Beschaffungskriminalität eines Drogensüchtigen werde, ist bedeutend größer als mein Tod durch einen Terroranschlag.

Nun wird von Politik und begleitender Publizistik abermals die Gefahr eines Völkermords beschworen. Darüber hinaus die unvorstellbare Brutalität der Terrorkrieger des sogenannten Islamischen Staates, die außerhalb jedes zivilisatorischen Standards stehe. Und gegen beides sollen ausgerechnet Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga das beste Mittel sein. Da drängen sich dann doch jede Menge Fragen auf.

Kampf gegen IS ist legitim

Richtig ist zweifellos: Der "Islamische Staat" ist ausweislich der von ihm selbst verbreiteten Text- und Bildbotschaften eine Organisation sadistischer Mörder, die bestehende staatliche Ordnungen zerstören will. Schon aus diesem Grund ist der Kampf gegen sie im Rahmen von Nothilfe und Notwehr völkerrechtlich legitim und politisch richtig. Das hat auch die in seltener Einmütigkeit gefasste Resolution des UN-Sicherheitsrates vom Freitag vorvergangener Woche deutlich gemacht.

Warum aber fokussiert sich der Kampf gegen IS allein auf den Irak? Im benachbarten Syrien werden vom IS in gleicher Weise Menschen terrorisiert und geschlachtet - der bestialische Mord an James Foley hat das vor aller Welt sichtbar gemacht. Und haben mit dem Tod bedrohte syrische Alawiten unsere Solidarität weniger verdient als irakische Jesiden? Alleine dies macht deutlich, dass es keine objektiven Kriterien gibt, wem wie geholfen werden muss. Wen zum Beispiel interessierte das Massenmorden im Südsudan vor wenigen Monaten? Niemand! Die kurdischen Peschmerga erhalten Waffen aus Deutschland, weil sie sich für den Kampf gegen IS offen anbieten und als "Partner" nicht von vorneherein desavouiert sind. Dass es den Peschmerga perspektivisch vor allem um einen souveränen kurdischen Staat geht und sich die aus Deutschland gelieferten Waffen vielleicht in fünf Jahren gegen den NATO-Partner Türkei richten - diese Gefahr wird geflissentlich ausgeblendet. Das ist fahrlässig!

Wer nicht selbst kämpft, kann nicht wählerisch sein

Der Feind meines Feindes ist mein Freund - nach dieser wenig wählerischen Methode muss vorgehen, wer sich selbst nicht wirklich engagieren will. Doch den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Irak hat Angela Merkel bereits ausgeschlossen, auch wenn dies die deutlich ehrlichere Antwort auf die diagnostizierte Bedrohung wäre. Aber dazu fehlt nicht nur Deutschland, sondern auch allen anderen Westeuropäern der Mut. Und deswegen bemüht sich auch niemand um ein entsprechendes UN-Mandat. Das ist inkonsequent!

Doch auch jenseits von Waffenlieferungen gäbe es genug Möglichkeiten der Hilfe für bedrohte Jesiden und zur Schwächung der IS-Kämpfer: Wer zum Beispiel fordert die Türkei auf, die Grenzen für Flüchtlinge aus dem Irak großzügiger zu öffnen und fliegt diese dann in sein eigenes Land aus? Niemand. Wann endlich enden die deutschen Waffenlieferungen in die Länder am Persischen Golf, die die IS-Krieger mutmaßlich bis heute unterstützen? Und nicht zuletzt wünsche ich mir einen Geheimdienst, der nicht nur penibel meldet, wie viele islamistische Radikale aus Deutschland mutmaßlich nach Syrien und in den Irak ausgereist und inzwischen wieder zurückgekehrt sind. Sondern einen Geheimdienst, der mit seinen Informationen die Anwerbung sowie die Aus- und Einreise von Terroristen in der Stärke von Hundertschaften verhindert. Das wäre ein beachtlicher Schlag gegen IS und ein großer Gewinn für die Sicherheit in Deutschland - und das ganz ohne Waffen!