Über Jahrzehnte hat der deutsche Frauenfußball Europa dominiert. Bei acht von elf EM-Ausgaben stellte der DFB bisher die Siegerinnen, die letzten sechs Male gelang der Titelgewinn sogar ohne Unterbrechung. EM-Pokal und Deutschland, das wurde zum Synonym für Frauenfußball. Silvia Neid, Heidi Mohr, Martina Voss oder Doris Fitschen waren die Pionierinnen in den Achtzigern, brachten das DFB-Team auf die Erfolgsspur, die mit dem Olympiasieg 2016 in Rio ihr vorläufiges Ende fand.
Doch jetzt der Schock - das frühe Aus im Viertelfinale bei der Europameisterschaft in den Niederlanden; gegen einen der leichtesten Gegner dort, gegen Dänemark. Und man kann nicht einmal sagen, dass die 1:2-Niederlage unverdient oder unglücklich gewesen wäre. "Der Siegeswille war das Entscheidende", analysierte Bundestrainerin Steffi Jones nach der Partie. Nicht zu vergessen, dass sich die deutschen Frauen schon in den Vorrundenspielen beim torlosen Unentschieden gegen Schweden und dem 2:1-Sieg gegen Italien schwer getan hatten und auch beim 2:0 gegen schwache Russinnen nicht überzeugen konnten. Drei der vier Tore fielen vom Elfmeterpunkt, das andere resultierte aus einem krassen Torwartfehler. Spielkultur: Mangelware. Und wenn sich schon mal Chancen ergaben, wurden die geradezu fahrlässig vergeben.
Falsche Taktik, zu wenig Wille
Klar, einige Leistungsträgerinnen hatten nach Olympiagold ihren Rücktritt erklärt, weitere waren verletzt. Die anderen Nationen haben aufgeschlossen, die Spitze wird breiter. Dennoch: In Deutschland ist eine Fußball-Infrastruktur vorhanden, nach der sich die Konkurrenz die Finger lecken würde. Zudem müsste durchaus Nachwuchs vorhanden sein, angezogen von den großen Erfolgen der Vergangenheit. Unerklärlich sind deshalb die vielen gerade technischen und taktischen Mängel jetzt in den Niederlanden. Fehlpässe, unbedrängt über kürzeste Distanz, Mängel bei der Ballannahme und -weiterverarbeitung und eben diese eklatante Abschlussschwäche.
Jones war mit der Ambition in die EM gestartet, die Spielweise zu ändern und offensiver zu agieren und davor gewarnt, dass das Turnier für ihre Mannschaft eigentlich zu früh komme. Aber darf eine Bundestrainerin vor so einem wichtigen Wettbewerb experimentieren? Und sollte sie vor allem an einem System festhalten, das die Mannschaft noch nicht umzusetzen in der Lage war? Zumal Jones´ überaus erfolgreiche Vorgängerin Sylvia Neid, inzwischen Leiterin der Scouting-Abteilung beim DFB, schon nach der Vorrunde feststellte, dass es die offensiven Teams momentan schwer haben, weil viele Gegner nur darauf bedacht seien, deren Spiel zu zerstören. Diesen Trend hatte Neid auch schon ein Jahr zuvor bei den Männern bei den kontinentalen Titelkämpfen in Frankreich ausgemacht.
Noch kein weiblicher Beckenbauer
Steffi Jones hatte sich, als sie ihr Amt im Herbst 2016 von Neid übernahm, vermeintlich in ein gemachtes Nest setzen dürfen. Erfolg schien programmiert. Jones war auserkoren, der weibliche Franz Beckenbauer zu werden. Als eine der besten Abwehrspielerinnen ihrer Zeit, mehrfache Europameisterin, Weltmeisterin 2003, wenngleich sie sich in der Vorrunde schwer verletzt hatte und fortan nicht mehr aktiv mitwirken konnte. Dann Chefin des Organisationskomitees der Heim-WM 2011 und später Direktorin beim DFB für Frauen-, Mädchen- und Schulfußball. Und im Gegensatz zum "Kaiser" verfügt sie sogar über den Fußballlehrerschein.
Beckenbauer machte damals mit seinem Erfolg die Kritiker mundtot. Weltmeister 1990 - wer fragt da noch nach Lizenzen? Steffi Jones ist den Beweis ihrer Trainer-Qualitäten bisher schuldig geblieben. Jetzt muss sie sich denselben Mechanismen aussetzen wie ihre männlichen Kollegen, muss sich fragen lassen, ob sie denn geeignet sei für diesen Job. Sie selbst will weitermachen. Vielleicht gibt man ihr noch eine Chance. Die sollte sie dann aber auch nutzen. 2019 findet die WM in Frankreich statt. Spätestens dann muss sie liefern. Der deutsche Frauenfußball hat die Latte selbst hochgelegt, an der er nun gemessen wird. Steffi Jones wird sie überspringen müssen. Und das ist anders als früher kein Selbstläufer mehr.
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