Kommentar: Kein Wandel, nur Handel
Woran lässt sich der Erfolg eines Gipfeltreffens zwischen Deutschland und China bemessen? An der Zahl der unterzeichneten Abkommen? Daran, wie oft das Wort "Menschenrechte" fiel? Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel mit elf Kooperationsabkommen im Gepäck zurückgeflogen ist und sich öffentlich sowie unter vier Augen zu den Protesten in Hongkong äußerte - zufriedenstellend war Merkels Besuch in der Volksrepublik weder für Wirtschafts- noch für Menschenrechtsvertreter.
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) mahnt, dass seine Mitglieder sich im "Systemwettbewerb" mit dem chinesischen Wirtschaftsmodell aufreiben. Wer auf einen echten Dialog mit der chinesischen Zivilgesellschaft hoffte, wurde ebenfalls enttäuscht: Mit Menschenrechtsanwälten trifft sich Merkel nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Deutschlands außenpolitische Lebenslüge
Wenn es um China geht, hält Deutschland an längst überholten Vorstellungen fest. Mit der sozialdemokratischen Ostpolitik eines "Wandels durch Annäherung" hatte Willy Brandt zwar zur Zeit des Kalten Krieges Erfolg. Die liberale Version - "Wandel durch Handel" - ist dagegen mittlerweile zu einer Lebenslüge der deutschen Außenpolitik mutiert. Hongkong ist das beste Beispiel dafür, wie wenig Interesse China an einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zeigt.
Deshalb bräuchte es genau hier und jetzt jenen Merkel'schen Mut, mit dem sie sich sonst außenpolitisch so deutlich positioniert: in der Ukraine-Krise gegenüber Putin und nach Trumps sexistischen Ausfällen. Aber mit Peking turnt Berlin nicht ohne Netz und doppelten Boden.
Klare Haltung nicht in Sicht
Dabei untergräbt genau diese zögerliche Attitüde gegenüber China Deutschlands ohnehin bescheidene außenpolitische Autorität. Denn bei den EU-Partnern wird Deutschlands ambivalente Haltung gegenüber China kritisch gesehen. Und ohne den Rückhalt der EU wird Deutschland hoffnungslos zwischen China und den USA aufgerieben.
Genau deshalb ist Merkel ja bemüht, die EU durch ein gemeinsames Investitionsabkommen mit China zu einen. Doch solange Deutschland sich nicht klar positioniert, findet auch die EU keine gemeinsame Haltung. Und solange bleibt es schwierig, ein Abkommen zwischen EU und China zu verhandeln.
Es geht auch um Merkels politisches Erbe
Viel Zeit bleibt Merkel dafür jedoch nicht mehr. Der Besuch in China könnte einer ihrer letzten in der Volksrepublik gewesen sein. Nach Ende ihrer Amtszeit 2021 will sie sich aus der Politik zurückziehen. Während ihrer voraussichtlich letzten EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 will sie noch einen gemeinsamen EU-China-Gipfel in Deutschland ausrichten.
Bis dahin muss sie eine klare Haltung zu China entwickeln. Denn gerade für Merkel, die ein europäisches Deutschland zum Leitmotiv ihrer Kanzlerschaft gemacht hat, wäre es tragisch, wenn sie sich mit diesem Verhalten verzocken würde.