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Kommentar: Keine voreiligen Schlüsse!

Peter Stützle5. Juli 2012

Wie konnte ein Neonazi-Trio jahrelang mordend durchs Land ziehen? Die Frage brennt unter den Nägeln. Und doch sollte man die Ermittlungen abwarten, bevor man Urteile fällt und Konsequenzen fordert, meint Peter Stützle.

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Vieles erscheint ungeheuerlich, was seit dem Tod von zwei Neonazis in einem Wohnmobil Ende vergangenen Jahres ans Licht kam. Die beiden Männer und ihre Komplizin konnten untertauchen, obwohl ihnen die Polizei auf der Spur war, sie konnten ein Jahrzehnt lang unbehelligt rauben und morden, Hinweise verliefen immer wieder im Sande. Da sind Vorwürfe schnell bei der Hand, die Fahnder seien auf dem rechten Auge blind gewesen. Sogar Verflechtungen zwischen Sicherheitsbehörden und Rechtsextremisten erscheinen nicht völlig abwegig.

Anders als die Empörung braucht die Aufklärung Zeit. Gerade ist sie wieder nur ein winziges Stückchen vorangekommen. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat den Verfassungsschützer, der gleich nach dem Auffliegen der Neonazi-Zelle Akten vernichtet hatte, und den Präsidenten des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, befragt. Mehr als einen Schimmer konnten sie nicht Dunkel des Geschehens bringen. Der Ausschuss wird noch bis weit ins nächste Jahr zu tun haben, um alle Winkel auszuleuchten.

Viele Politiker meinen aber, jetzt schon Schlüsse ziehen zu können. Linke und einige Grüne fordern, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Dem hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, zurecht widersprochen. Ein solcher Schritt würde "das historisch gut begründete Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei aufheben und zu einer ungeheuren Machtfülle bei letzterer führen", sagte sie einer Nachrichtenagentur. Nach den Erfahrungen mit Hitlers Geheimer Staatspolizei wurden Geheimdienst und Polizei in Deutschland strikt getrennt.

Peter Stützle Foto: Olof Pock
Peter Stützle, DW-HauptstadtkorrespondentBild: DW

Andere meinen, weil die Sicherheitsbehörden verschiedener Bundesländer und des Bundes in diesem Fall so schlecht zusammengearbeitet hätten, bräuchten wir weniger Föderalismus. Tatsächlich wären zentralistische Strukturen wahrscheinlich (aber keineswegs sicher) effektiver. Aber Effizienz von Sicherheitsorganen ist ein zweischneidiges Schwert. Das gilt nicht nur für Diktaturen; man denke bloß an das Wüten des amerikanischen Inlands-Geheimdienstes in der McCarthy-Ära. Teilung von Macht schützt vor Missbrauch.

Natürlich kann all das, was im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden falsch gelaufen ist, nicht ohne Konsequenzen bleiben. Man muss aus Fehlern zu lernen und dafür sorgen, dass sie sich möglichst nicht wiederholen. Aber erst, wenn man genau weiß, welche Fehler passiert sind.