Bogotás gefährliche Sorglosigkeit
In einem heute veröffentlichten Video haben zwei historische Anführer der kolumbianischen FARC-Guerrilla verkündet, dass sie wieder zu den Waffen greifen und eine neue Phase des bewaffneten Kampfes beginnen wollen. Iván Márquez und Jesús Santrich, beide Mitglieder der Verhandlungskommission der FARC bei den Friedensgesprächen in Kubas Hauptstadt Havanna, hatten sich bereits länger abgesetzt und waren nicht mehr auffindbar gewesen. Nun haben sich die Gerüchte bestätigt, dass sie sich wiederbewaffnet und eine "neue Guerrilla" gegründet haben. Diese nimmt den Namen FARC-EP wieder auf und versucht, dissidente Gruppen der ehemaligen FARC-Guerrilla zusammenzuführen. Dazu erklärt sie sich als "im ideologischen Kampf" für unbesiegt.
Die "neue FARC-EP" – mehr als eine Veteranen-Guerrilla?
Nach inoffiziellen Schätzungen sollen rund 1800 Ex-Guerrilleros weiter bewaffnet unterwegs sein, als Mitglieder von Drogenkartellen, bei der illegalen Ausbeutung von Bodenschätzen oder im Entführungsgeschäft, etwa bei der Lösegelderpressung. Bislang agieren diese sehr verstreut im nationalen Territorium und ohne klare Führungsstruktur. Nun könnten sie versucht sein, sich mit der Ankündigung der historischen Kommandanten eine neue politische Legitimation zu verschaffen. Ob die angekündigten Gespräche der neuen FARC-Guerrilla mit der marxistischen "Nationalen Befreiungsarmee" ELN zum Erfolg führen, darf bezweifelt werden – allerdings ist nunmehr ein neuer Gewaltakteur in das politische Rampenlicht getreten. Damit wird eine zentrale Errungenschaft des Friedensprozesses, die Entwaffnung und Demobilisierung ehemaliger Guerrilla-Kämpfer, zunichte gemacht und der bewaffnete Kampf der FARC flammt wieder auf, neben der auch weiterhin aktiven ELN-Guerrilla, mit der die Regierung in Bogotá bislang keine Übereinkunft erreichen konnte.
Nagelprobe für Präsident Duque
Kolumbien steht damit erneut an einem Scheideweg in einem Friedensprozess, der schon viele gescheiterte Vorläufer besitzt. Jedes Mal wurden die Vereinbarungen nicht erfüllt, zugesicherte Garantien nicht eingehalten und die alte politische Elite kontrollierte weiter die Macht. Kann die Erklärung der beiden FARC-Veteranen noch einmal das Feuer einer Guerrilla anfachen? Wird die Regierung Duque die Vernachlässigung des Friedensprozesses beenden und auf dessen Vertiefung hinarbeiten? Erste Stellungnahmen aus Bogotá lassen darauf schließen, dass die "neue" Guerrilla nicht als Warnzeichen gesehen wird. Ex-Präsident Álvaro Uribe sieht sich bestätigt, dass es ohnehin keinen Friedensprozess gegeben habe, sondern nur eine "Begnadigung für einige Täter von abscheulichen Verbrechen verbunden mit hohen institutionellen Kosten".
Für Präsident Iván Duque wird es nun zur Nagelprobe, ob er sich zum Friedensabkommen bekennt oder auf die Linie seines politischen Mentors einschwenkt und den Friedensprozess grundsätzlich in Frage stellt oder gar für gescheitert erklärt. Inzwischen hat Duque die militärische Verfolgung der Rebellen angekündigt; so steigt die Gefahr, dass Gewaltakte im Land wieder zunehmen. Doch dahinter steht die grundsätzliche Frage, ob die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes dazu bereit sind, die ausstehenden Themen der Landverteilung, der Reparation und der politischen Reformen anzugehen oder ob sie diese weiter auf die lange Bank schieben. Ganz zu schweigen vom Schutz für ehemalige FARC-Kämpfer und lokale Friedensaktivisten, die immer wieder Opfer von Mordanschlägen werden. Ohne eine vertiefte Umsetzung des Friedensabkommens wird ein neues Zusammenleben in Kolumbien nicht möglich sein. Die internationale Gemeinschaft sollte alles daransetzen, Kolumbien auf dem Weg des Friedens und der Versöhnung zu halten.