Die EU-Kommission will die bisherige Grenzschutzagentur, die auf freiwilliger Basis die Mitgliedsstaaten beraten hat, mit viel Geld zu einer eigenständigen Grenz- und Küstenwache aufpumpen. Die neue Behörde soll über 1000 Angestellte, 300 Millionen Euro und eine schnelle Eingreiftruppe von mindestens 1500 Grenzschützern gebieten. Die negativen Erfahrungen mit dem laschen Grenzschutz in Griechenland, aber auch Italien, haben EU-Kommissionspräsident Juncker so auf die Palme gebracht, dass er nun eine wahre politische Breitseite auffährt. Die Kommission will die Kompetenzen in Brüssel zentralisiseren und den Mitgliedsstaaten einen Teil ihrer Souveränität nehmen.
Das ist ein äußerst heikles Unterfangen, denn gerade die Kontrollen der Grenzen gehört zu den Kernaufgaben jedes Staates. Es wird erheblichen Widerstand geben. Viele Regierungen, von Warschau über Prag und Bratislava bis Athen sind so europakritisch, dass sie sich diese Gängelung durch die Kommission wohl kaum gefallen lassen werden. Zwar haben die Staats- und Regierungschefs Junckers Kommission offiziell den Auftrag gegeben, den Schutz der Außengrenzen zu verbessern, aber dürften die meisten nicht damit gerechnet haben, dass Jean-Claude Juncker tatsächliche eine europäische Truppe nach eigenem Recht aufstellen will. Es ist sehr zweifelhaft, ob er dafür tatsächlich die notwendige Zustimmung der Nationalstaaten finden kann.
Unbeantwortet ist auch die Frage, wovor die Küstenwache schützen soll. Sollen die Flüchtlingsboote künftig auf dem Mittelmeer vom Grenzschutz aufgebracht und in die Türkei oder nach Libyen zurückgeschickt werden? Also abdrängen statt retten?
Das wird noch Jahre dauern
Es gibt auch noch viele praktische Probleme. Bislang weiß die EU-Kommission nicht einmal, wie viele Grenzschutzbeamte und viele Küstenwachen-Schiffe es in den Mitgliedsstaaten überhaupt gibt. Für jedes Land soll eine eigene Risikoanalyse und ein Notfallplan erarbeitet werden. Es wird, das wissen Insider natürlich, noch enormer Aufbauarbeit bedürfen, um eine eigenständige wirkungsvolle europäische Behörde auf die Beine zu stellen. Optimistisch hat die EU-Kommission das Jahr 2020 als Ziel angepeilt. Damit ist klar, dass der neue Euro-Grenzschutz in der derzeitigen Flüchtlingskrise wenig ausrichten wird. Er wird für zukünftige Krisen geplant. Eines der Planspiele, mit denen sich die Kommissions-Beamten beschäftigen: Eine Fluchtbewegung aus der Ukraine, falls sich der Konflikt mit Russland verstärkt.
Griechenland ist der Schlüssel
In der aktuellen Flüchtlingskrise hülfe nur, Griechenland endlich an die Kandare zu nehmen und zu zwingen, Kontrollen vernünftig zu organisieren und Flüchtlinge wenigstens zu registrieren. Das ginge auch heute schon ohne neue EU-Behörde, setzte aber wirklichen politischen Willen in Athen voraus mitzuwirken. Bislang hat sich die links-rechtsradikale Koaltion wie ihre Vorgängerregierungen geziert. Ganz langsam, zu langsam ändert sich die Haltung. Europäisches Geld für die Unterstützung Griechenlands bei der Grenzkontrolle ist genug da, auch wenn der zuständige Minister in unerträglicher Weise lamentiert, man lasse die Griechen im Stich. Es ist leider ein tragischer geografischer Zufall, dass das wirtschaftlich und politisch schwächste Glied der EU ausgerechnet an der bedrängten Südostflanke liegt.
So lange die Außengrenzen porös sind, werden immer mehr Staaten in der doch eigentlich grenzenlosen Schengen-Zone wieder Kontrollen einführen. Die Aufweichung von Schengen wäre unbequem, aber sie ist noch nicht das Ende der Europäischen Union. Die lähmt sich eher selbst, wenn sich EU-Kommission und Mitgliedsstaaten jetzt in einem langen Streit um Kompetenzen und Souveränität verheddern.