Leichtes Spiel für Putin
Stellenweise ging es zu, wie bei einem großen Familientreffen an Heilig Abend: Opa erzählt von früher, deutet die aktuelle Weltpolitik, ist im Großen und Ganzen gut gelaunt. Wenn die Stimmung mal kurze Zeit in den Keller sinkt, dann allein wegen miesepetrigen Verwandten, die ein paar unangenehme Fragen stellen, die Großväterchen aber souverän abbürstet.
Die Rede ist von der nicht enden wollenden Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten. Die meisten Fragesteller waren bestenfalls Stichwortgeber. Der Krieg im Osten der Ukraine, die Krim-Frage oder das Thema Korruption kamen in der ersten Stunde nicht zu Wort. Erst später gab es vereinzelt auch kritische Fragen. Doch die Journalisten hatten nicht Möglichkeit, kritische Nachfragen zu formulieren, sondern mussten sich allein mit der Antwort des Präsidenten zufriedengeben.
Eine Pressekonferenz als Operette
Die PK drohte gänzlich zu einer Operette zu verkommen, als ein älterer Herr aus Murmansk zu einem Klagelied über die Fischpreise ausholte und niemanden - auch nicht Putin selbst - zu Wort kommen ließ. Wie kam der Direktor einer Fischfabrik zu diesem Pressetermin? Wer hat ihn hereingelassen? Weshalb ließ man ihn so lange reden? Aber der Präsident beruhigte den aufgebrachten Gast auch in diesem Fall: Ja, er sehe das mit den Fischpreisen ähnlich. Die Botschaft an das TV-Millionenpublikum: "Unser Präsident kennt sich auch bei diesem Thema aus und hat alles im Griff."
Auch als sich plötzlich Xenia Sobtschak im Saal zu Wort meldet, seine Gegenkandidatin bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr: nicht als Politikerin, sondern als freie Mitarbeiterin des Fernsehsenders "Doschd". Sobtschak, die jetzt das Haar ähnlich geflochten trägt wie Julia Timoschenko in Kiew, attackierte den Präsidenten zwar hart. Doch sie hat - wie auch alle anderen bei der PK - keine Möglichkeit nachzufragen. Und so holt Putin zum Gegenangriff aus - beschwört ein politisches Chaos, sollte er nicht wiedergewählt werden; ein Durcheinander, fast so schlimm wie derzeit in der Ukraine. Auch hier wieder das Signal an die Wählerschaft: Ich oder das Chaos!
Werbung für den Kandidaten im Wahlkampf
Und so degenerierte die Jahrespressekonferenz zu einer kostenlosen Werbeveranstaltung für den Präsidentschaftskandidaten Putin. Wirklich Neues hatte der Amtsinhaber nicht zu sagen. Altbekanntes kann für den ausländischen Zuhörer aber auch provokativ wirken: Russland habe keine eigenen Truppen in der Ukraine; die Amerikaner seien selbst schuld, dass es im Konflikt mit Korea nicht vorangehe; Trumps Gegner verzerrten die Wahrheit und schadeten ihrem Land; der Minsk-Prozess sei wenig effektiv. Und ja, einige russische Sportler hätten offenbar gedopt - doch Sportler im Ausland machten das auch und dürften dennoch bei den Olympischen Spielen antreten. Wieder diese halb ausgesprochene, halb insinuierte Unterstellung: Der Westen verbannt Russlands Sportler allein deshalb von den Winterspielen in Korea, um Putin zu schaden.
In der Bilanz ist es ebenso aufschlussreich wie beklagenswert, wie russische Journalisten derzeit ihren Job verstehen: Es erinnert an sowjetische Zeiten, wenn sie nach einer Antwort ihres Präsidenten applaudieren. Nur wenigen scheint bewusst zu sein, dass sie nicht der verlängerte Arm der Regierung sind, sondern eben diese kontrollieren und Missstände aufdecken sollen. Und so hatte Putin auch bei seiner diesjährigen Jahres-Pressekonferenz unterhaltsame vier Stunden. Fast so wie Opa an Weihnachten.
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