Die Zeichen verdichten sich: Kommenden Sonntag treffen sich voraussichtlich die Konfliktparteien Libyens zu einer Friedenskonferenz in Berlin. Libyen soll "kein zweites Syrien werden". Dieses Mantra wiederholt die Bundesregierung schon seit Monaten. Dass ein solcher Vergleich überhaupt gerechtfertigt ist, daran hat auch Deutschland seinen Anteil.
Als General Chalifa Haftar, der offene Gegner der UN-gestützten Einheitsregierung von Libyens Premierminister Fajis al-Sarradsch, im vergangenen April plötzlich mit seinen Truppen vor der Hauptstadt Tripolis stand, war klar: Libyen ist die nächste große Krise vor Europas Haustür. Neun Jahre nach der Bombardierung durch die NATO und der Tötung des Diktators Muammar al-Gaddafi.
Libyens Machtvakuum wurde zum Pulverfass
Das Machtvakuum im ehemals (öl)-reichsten Land Afrikas hat seitdem dazu geführt, dass das Land zu einem Pulverfass regionaler Interessen und Stellvertreterkriege geworden ist. Seit der Zerschlagung des Systems Gaddafi ist Libyen übervoll mit alten und neuen Akteuren und deren Machtinteressen. Um das Land irgendwie zu stabilisieren, müss(t)en sich mittlerweile Frankreich, Russland, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, die Türkei, Italien und Katar koordinieren. Mindestens.
Wussten Merkels Regierungssprecher noch vor wenigen Monaten nichts wirklich mit der Frage anzufangen, was denn Deutschland nun tun wolle, um Waffenlieferungen in das im Krieg versinkende Libyen einzudämmen, so ist ein Waffenembargo jetzt das erklärte Ziel der Konferenz. Diese soll auch die gerade erst Montag von Moskau und Ankara vermittelte Waffenruhe zu einem längerfristigen Waffenstillstand ausbauen.
Beides wäre ein großer Etappenerfolg für die stille deutsche Diplomatie. Angesichts der wachsenden Kritik an Außenminister Heiko Maas wäre das auch der dringend zu erbringende Beweis, dass die deutsche Außenpolitik in den vergangenen Monaten, neben Appellen zur De-Eskalation in Libyen, dem drohenden Handelskrieg mit den USA und zur Iran-Krise eben doch etwas Konkretes bewegt hat.
Merkels diplomatischer Erfolg
Dieser Erfolg wäre aber auch - wieder einmal - vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken. Bei ihrem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau am vergangenen Samstag zeigte sie erneut, dass sie auch und gerade mit schwierigen Gegnern konstruktiv zusammenarbeiten kann. Auch der kurze Draht zu Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi, mit dem sie Sonntag telefonierte, dürfte bei den intensiven Bemühungen, alle an einen Tisch zu bekommen, hilfreich gewesen sein.
In Berlin sind die Verantwortlichen schon jetzt sichtlich stolz, den Grundstein für einen möglichen Weg aus der militärischen Sackgasse in Libyen legen zu können. Wenngleich Deutschland betont, dass dies nur der Anfang für eine politischen Lösung unter Vermittlung der Vereinten Nationen sein kann.
Dass Merkel in heiklen Krisen und vor allem bei so komplexen Interessenlagen so vieler Akteure zu politischer Hochform aufläuft, dürfte sie auch dieses Mal wieder beweisen. Wie schon bei der Finanzkrise oder der Annexion der Krim, die sie - immerhin - in den Minsk-Prozess überführen konnte, hat sie einen unbestechlichen Sinn für das unter den gegebenen Umständen Machbare.
Warum interveniert Merkel erst jetzt?
Das wird jedoch kaum darüber hinweg trösten, dass die Kanzlerin es in den acht Jahren vor der neuesten militärischen Eskalation in Libyen im April 2019 schlicht nicht als ihre Aufgabe ansah, die europäischen Streithähne in Libyen - Frankreich und Italien - auf die eine einheitliche EU-Linie zu bringen.
Merkel kann Krise wie wohl kaum eine Andere. Diese hätte sie verhindern können, wenn sie auf ihre Diplomaten gehört und so etwas wie, ja, ein Konzept für diese für Deutschland und Europa so wichtige Region gehabt hätte. Stattdessen: immer nur Krisenpolitik. Stellt sich die Frage, ob es bis zum Ende ihrer Amtszeit im Herbst 2021 noch eine Sahel-Konferenz geben wird.