Trainerwechsel bringen nichts - statistisch betrachtet. Zu diesem Ergebnis kam 2011 eine Studie der Universitäten Münster und Kassel, bei der mehr als 150 Trainerentlassungen seit Gründung der Bundesliga unter die Lupe genommen wurden. Das Ergebnis: Unter dem neuen Trainer spielten die bis dahin erfolglosen Mannschaften zwar etwas besser. Doch wäre dieser Effekt wohl auch eingetreten, hätte man dem alten Coach mehr Zeit gegeben. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Mit der Geduld ist es nämlich im Fußball nicht weit her. Und sie ist umso kleiner, je höher die Ansprüche sind.
Fast ein Offenbarungseid
Allein schon deshalb wird Lucien Favre wohl in der nächsten Woche seinen Trainerjob bei Borussia Dortmund verlieren. Denn die Ansprüche sind hoch beim BVB. Schließlich haben die Schwarzgelben vor der Saison knapp 130 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Und der Anspruch wurde klar artikuliert: Wir geben uns nicht mit der Rolle des Vizemeisters zufrieden, wir wollen mehr. Nach zwölf Spieltagen sind die Dortmunder ernüchtert, besonders wegen der beiden letzten Auftritte, die fast schon einem Offenbarungseid gleichkamen: Der 0:4-Pleite im Prestigeduell beim FC Bayern folgte ein blamables 3:3 gegen Schlusslicht Paderborn. Und als wäre das noch nicht genug, ist jetzt selbst Erzrivale FC Schalke 04 in der Tabelle am BVB vorbeigezogen.
Nicht mehr als Lippenbekenntnisse
Der Trainer ist in einer solchen Situation das schwächste Glied der Kette, das in der Regel auch als erstes ausgetauscht wird. So wundert es kaum, dass alles, was man aktuell aus Dortmund zu Favres Zukunft hört, nach Lippenbekenntnis klingt. "Wir gehen mit Lucien Favre in das Spiel in Barcelona und erwarten, dass wir da eine deutliche Leistungssteigerung sehen", sagte etwa BVB-Sportdirektor Michael Zorc mit Blick auf das anstehende Champions-League-Spiel am Mittwoch beim spanischen Starensemble FC Barcelona. Das ist in etwa so, als würde man einem mittelmäßigen Maler sagen: "Versuche dich an der Mona Lisa! Hinterher entscheiden wir dann, ob wir dich weiterhin fördern."
Verunsicherung greifbar
Schlussendlich holt Favre nun auch die zweite Hälfte der vergangenen Saison, als der BVB einen komfortablen Vorsprung von neun Punkten auf die Bayern noch verspielte und den Traum der Fans von der schon sicher geglaubten neunten Meisterschaft der Vereinsgeschichte platzen ließ. Das fällt naturgemäß auf den Trainer zurück. Genauso wie die mentale Verfassung, in der sich die Dortmunder Mannschaft derzeit präsentiert: Die Verunsicherung ist fast mit Händen greifbar. Kapitän Marco Reus etwa stellte sich nach dem 3:3 gegen Paderborn zwar demonstrativ vor den Trainer. Gleichzeitig beantwortete er jedoch eine Frage zur Taktik mit den Worten: "Wir wissen gar nicht, wie wir richtig pressen sollen." Anders gesagt: Dem Trainer gelingt es nicht mehr, seine taktischen Vorstellungen an die Mannschaft so zu vermitteln, dass diese sie auch umsetzt.
Das Fass läuft über
Daraus kann eigentlich nur eine Konsequenz folgen: Lucien Favre wird es beim BVB ergehen wie Niko Kovac bei den Bayern, er muss seinen Hut nehmen. Dafür spricht übrigens auch die Studie von 2011. Die Situation bei den Dortmundern erfüllt nämlich geradezu klassisch zwei Kriterien, die als Muster bei Trainerentlassungen in der Bundesliga festgestellt wurden. Erstens: Die Mannschaft spielt schlechter, als man es erwarten würde, wenn man die Spielstärke der Vorsaison zugrunde legt. Und zweitens: Zwei besonders schlechte Spiele sind dann zwei schlechte Spiele zuviel.