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Mit Erdogan bis zur Selbstverleugnung

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
23. Mai 2016

Am Flüchtlingsdeal mit der Türkei wird Angela Merkel festhalten, trotz aller Zumutungen aus Ankara: Denn ihr fehlt einfach die Alternative, meint Jens Thurau.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verabschieden sich am 25.02.2013 in Ankara nach einer gemeinsamen Pressekonferenz. (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Freundlich, so heißt es, habe Präsident Recep Tayyip Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Istanbul empfangen. Kunststück, denn er hatte seinen Berater Yigit Bulut schon mal vorgeschickt. Der droht in Interviews unverhohlen, die Türkei könne alle getroffenen Vereinbarungen mit der EU außer Kraft setzen, wenn die seinem Land bei den anstehenden Gesprächen nicht entgegenkomme.

Kraftstrotzend kann man das nennen, irrational vielleicht auch, aber für Merkel ist es schlicht eine Realität, die sie längst zur Kenntnis hat nehmen müssen. Sie braucht die Türkei, im Moment gibt es keine Alternative zum Deal mit Erdogan in der Flüchtlingspolitik. Und Erdogan weiß das und führt seine neue Macht genüsslich vor.

Fast täglich gibt es dafür Beispiele: Der Justiz-Feldzug gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann (und gegen zahlreiche andere), die Verhaftung von Journalisten, die Aufhebung der Immunität von kurdischen Abgeordneten, um auch die ins Gefängnis werfen zu können.

Jens Thurau, Hauptstadtkorrespondent der DW (Foto: DW)
Jens Thurau, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Und schon ist die Bühne für Erdogans nächsten Adrenalin-Ausstoß bereitet: Wenn der Deutsche Bundestag Anfang Juni in einer Resolution vom türkischen Völkermord an den Armeniern sprechen wird, ist fest mit einem weiteren Zornesausbruch zu rechnen. Das alles macht Erdogan natürlich nicht nur, um Deutschland und andere EU-Länder zu ärgern, aber Merkel hat ihm mit der Flüchtlingspolitik zusätzliche Macht verliehen. Jemand wie Erdogan zögert nicht, sie auch zu nutzen.

Symbolpolitik fürs deutsche Publikum

Für das Publikum daheim hat sich Merkel schon zu Beginn ihres Besuches in Istanbul am Sonntag mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen - allerdings nicht mit kurdischen Vertretern, auch nicht mit verfolgten Journalisten. Und in Zeitungsinterviews hat sie sich besorgt gezeigt über die innenpolitische Zuspitzung in der Türkei, um eilig hinterher zu schieben, dass sie an den Vereinbarungen zur Flüchtlingspolitik festhält.

Und jetzt? Nach dem Gespräch mit Erdogan nur soviel: Das Treffen habe nicht alle offenen Fragen klären können. Und dass die Visa-Freiheit für Türken in der EU bis zum 1. Juli komme, sei sehr ungewiss. Das war aber eigentlich auch schon vorher klar.

Knallharte Interessenpolitik

Es ist schon viel geschrieben worden darüber, dass sich Merkel dem egozentrischen türkischen Präsidenten ausgeliefert hat. Allzu romantisch veranlagt ist die Kanzlerin nicht, sie hat keine Scheu vor Interessenpolitik, und ihr Kalkül lautet derzeit: Der Schaden, der entsteht, wenn der Deal mit Erdogan platzt, ist höher als der Verlust an Glaubwürdigkeit, der schon entstanden ist, weil sie weiter freundlich mit dem Machthaber in der Türkei spricht.

Das mag zynisch klingen, aber vielleicht ist es derzeit das Einzige, was der Kanzlerin übrig bleibt. Scheitert ihre europäische Flüchtlingspolitik (oder das, was vom ursprünglichen Wunschplan noch übrig ist) dann ist Merkels Macht tatsächlich auch im Inland bedroht. Und das will sie nach über zehn Jahren im Amt einfach nicht erleben.

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