Mittendrin und nicht dabei
11. Februar 2014Natürlich jubeln sie jetzt, die Europagegner in der EU. Der Brite Nigel Farage, die Französin Marine Le Pen, der Niederländer Geert Wilders, der Österreicher Heinz-Christian Strache, die Rechtspopulisten aller Länder feiern die Schweizer als Freiheitshelden, die sich erfolgreich gegen Überfremdung und Bevormundung der EU zur Wehr gesetzt haben. Die Schweizer hätten den Beweis geliefert, behauptet beispielsweise Farage, dass es einem Land auch außerhalb des Großgebildes EU gut gehen könne.
Nur die Schweizer sind sich da offenbar nicht so sicher. Wenn man die Zeitungen aus Bern, Zürich oder Genf liest, dann hat man eher den Eindruck, dass vielen Menschen dort die unterstellte Nähe zu den europäischen Rechtsparteien eher peinlich ist. Zum einen haben sie in ihrem Referendum ja nicht den Rauswurf der Hungerleider aus Rumänien und Bulgarien beschlossen, wie das Wilders, Le Pen und Co. vorschwebt. Die Schweizer haben auch nicht jegliche Einwanderung gestoppt. Sie wollen vielmehr den Zuzug begrenzen, und zwar ganz ausdrücklich auch den Zuzug der bestens ausgebildeten Fachkräfte, deren Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sie fürchten und von denen sie sich - wenn sie aus Deutschland kommen - eingeschüchtert fühlen.
Vor allem aber wollen die Schweizer mit diesem Referendum ganz sicher nicht auf größeren Abstand zur Europäischen Union gehen. Ganz im Gegenteil. Selbst einer der maßgeblichen Köpfe hinter der Initiative gegen Masseneinwanderung, der rechte Volksparteichef Christoph Blocher, wird nicht müde, seinen Anhängern zu versichern, dass er an den Verträgen mit der Europäischen Union nichts ändern möchte. Die Freizügigkeit ein kleines Stück einschränken, das ja, aber sonst bitte, bitte alles beim Alten lassen.
Ein spezielles Verhältnis
Seit 1957, seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft, pflegt die Schweiz ein überaus kompliziertes Verhältnis zu Brüssel, das wenig über Brüssel, aber viel über die Schweizer Befindlichkeit aussagt. Seit 20 Jahren liegt bei der EU sogar ein Beitrittsantrag aus Bern, der aber nicht verhandelt wird, weil die Schweizer Regierung Angst vorm Volkszorn hat. Denn einerseits braucht die Schweiz die EU hinten und vorne, andererseits brauchen die Schweizer das Gefühl der Unabhängigkeit.
Das schönste Ergebnis dieses Spagats ist das, was die Schweizer ganz offiziell "autonomen Nachvollzug" nennen. Das heißt, dass die Regierung fast alle EU-Vorschriften in Schweizer Gesetze gießt. Wenn die EU eine neue Zusatzstoffverordnung für Bergkäse beschließt, dann macht die Schweizer Regierung sofort ein eigenes Gesetz daraus. Völlig autonom, wie sie betont. Aber sehr zuverlässig, weil die Schweiz ihren Käse sonst nicht mehr in die EU exportieren könnte. Im Kern macht die Schweiz schon lange mehr oder weniger dasselbe wie jedes EU-Mitglied. Nur ohne Stimmrecht.
Das ist zwar nicht besonders clever, weil auf diese Weise faktisch jeder maltesische Fischer mehr Einfluss auf die Regeln für Schweizer Käse hat als alle acht Millionen Schweizer zusammen. Aber das müssen die Schweizer mit sich selbst ausmachen.
Keine Gefahr für Verträge mit der EU
Das mit der Zuzugsbeschränkung aber, das müssen sie mit der EU ausmachen. Drei Jahre hat die Regierung in Bern Zeit, den Volkswillen umzusetzen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich die Schweiz in diesen drei Jahren noch ein bisschen enger an die EU binden wird. So war das bisher immer. Als zum Beispiel Österreich seine EU-Mitgliedsurkunde unterschrieb, hat die Schweiz ihre Urkunde in der Schublade gelassen und stattdessen sieben bilaterale Verträge mit der EU ausgehandelt. Komplizierte Verträge mit starren Klauseln, die der Schweiz weniger Spielraum lassen als etwa Österreich.
Wahrscheinlich wird die EU ein bisschen nachgeben und der Schweiz erlauben, das generelle Freizügigkeitsabkommen durch ein halbes Dutzend Einzelverträge zu ersetzen. In irgendeiner Klausel wird dann stehen, dass die Schweiz theoretisch und unter besonderen Umständen das Recht hat ... und so weiter. Bern wird zustimmen, weil alles andere schlimmer wäre. In drei Jahren wird die Schweiz auf keinen Fall so aussehen wie sich Farage, Le Pen, Wilders und Co. das heute ausmalen.