Macht Euch an die Arbeit! Noch einmal! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Akteure von CDU, CSU, FDP, Grünen und auch der SPD zu weiteren Gesprächen über eine Regierungsbildung aufgefordert. Steinmeier sprach, dem Amt gemäß, ruhig und staatstragend. Aber es ist, im Nachlesen und Nachhören, eine Ohrfeige.
Novum in der bundesdeutschen Geschichte
Und es war staats-tragend - das Wort bekommt in diesen Stunden einen neuen Sinn. Denn Steinmeier spricht in ernster Stunde: "Wir stehen vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, also seit immerhin seit 70 Jahren, noch nicht gegeben hat." Und er erinnert die Parteien an einen Wesenskern politischen Handelns: "Alle in den Bundestag gewählten politischen Parteien sind dem Gemeinwohl verpflichtet, sie dienen unserem Land."
Dass dies ein Bundespräsident in diesem Moment in einem so klaren Satz - ohne jegliche Einschränkung - ausspricht, eben das macht aus dem Appell die Ohrfeige. Staatspolitische Nachhilfe in Stunden, in denen Parteipolitik zelebriert wurde. Steinmeier verwendet nicht den Begriff Klientelpolitik - aber seine Warnung davor spricht aus seinen Zeilen. "Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält." Da werden sich auch die Genossen freuen über den Rüffel ihres eigenen Kanzlerkandidaten aus dem Wahlkampf 2009.
Nun hat der Bundespräsident, gelegentlich als Ersatzkönig oder Grüßaugust bespöttelt, wenig mehr als die Macht des Wortes, der großen Rede. Seine wichtigste Aufgabe ist es nach dem Grundgesetz, in einer ganz bestimmten Situation die Frage von Neuwahlen im Bund zu klären. Und gerade zu diesem Punkt betreibt Steinmeier nun Klarstellung. In einem Zeitungsinterview am Sonntag klang das bereits an, nun ist es seine Kernbotschaft: Die Bundesrepublik ist gut gefahren mit einem sehr zurückhaltenden Umgang, überraschend Neuwahlen anzusetzen. Das sorgte für Stabilität.
Wie es weiter geht, bleibt offen
Was passieren wird, falls sich die Parteien schlussendlich doch nicht zusammenfinden, das lässt der Bundespräsident zu Recht offen. Aus seinen Worten klang eben nicht die Andeutung des Fluchtweges Neuwahlen. Die Verantwortung liegt nicht in Bellevue. Die Verantwortung liegt weiterhin bei den Parteien. Das sollte ihnen nicht nur Auftrag sein, sondern vor allem Mahnung. Deutschland ist vielen Menschen weltweit Vorbild oder auch Sehnsuchtsort. Die Parteien sollten sich dessen besinnen.
Politische Parteien berufen sich gerne auf das Gemeinwohl, auf den Dienst an der Gesellschaft, auf ein größeres Ganzes. Kabinettsmitglieder versprechen übrigens bei ihrer Vereidigung, ihre "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes" zu widmen. Was in den vergangenen viereinhalb Wochen geboten wurde, das war weit davon entfernt. Da war nicht das großen Ganze im Blick, sondern da wurden listenweise Details abgehandelt. Politische Gestaltung setzt jedoch den Willen zur Orientierung am Gemeinwohl voraus. Man darf gespannt sein, ob die Parteien dazu die Kraft haben.
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