Kommentar: Nackter Verteilungskampf um EU-Etat
6. Dezember 2005In den europäischen Hauptstädten wird jetzt heftig gerechnet: Was bringt der Haushaltsentwurf der britischen EU-Ratspräsidentschaft für die eigene Kasse, lautet die Frage. Für die Nettozahler sieht es ganz gut aus, denn ihr Sparziel, nämlich Einfrieren des Budgets bei einem Prozent der EU-Wirtschaftsleistung, wird fast erreicht. Betrogen fühlen sich viele neue Mitgliedsstaaten in Osteuropa, denen rund zehn Prozent der einst avisierten Zuschüsse gestrichen werden sollen. Die bisherigen Empfänger in West- und Südeuropa, Spanien, Portugal, Irland, Griechenland, müssen kräftig abspecken.
Kleingeister
Gemessen an seinen Ansprüchen ist der britische Premier Tony Blair grandios gescheitert. Er hatte im Sommer, nach dem ersten geplatzten Haushaltsgipfel, eine grundlegende Modernisierung des Etats angekündigt. Die EU müsse ihre Prioritäten festlegen und dann das Geld verteilen, tönte Blair. Mehr Bildung, Forschung, Innovation und Arbeitplätze und weniger Subventionen für nicht-konkurrenzfähige Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft. Dieser Ansatz Blairs war und ist richtig, nur konnte er den Rest der Mitgliedsstaaten nicht überzeugend mitziehen. Zu übermächtig sind die Einzelinteressen, zu klein ist der europäische Geist.
Als Notlösung erscheint deshalb der rigoros zusammengestrichene Haushaltsentwurf, der jetzt für die Jahre 2007 bis 2013 auf dem Tisch liegt. Rund 1000 Milliarden hatte die EU-Kommission gefordert, bei knapp 847 Milliarden Euro liegt das letzte Angebot. Da die Ausgaben für Landwirtschaft - rund 40 Prozent des Etats - für unantastbar erklärt wurden, muss nun bei Hilfen für Osteuropa, aber auch bei anderen wichtigen Aufgaben wie der Nachbarschaftspolitik, der Forschungsförderung und den Beihilfen für künftige Mitglieder gekürzt werden.
Unsinn und Umverteilung
Leider geht es im Haushaltsstreit nicht mehr um sinnvolle Ausgaben für sinnvolle Aufgaben, sondern nur noch um den nackten Verteilungskampf. Die Frage, ob die anachronistische Umverteilungsmaschinerie im modernen Europa überhaupt noch sinnvoll ist oder ob es bessere Instrumente zur Projektfinanzierung gibt, wird gar nicht mehr gestellt.
Großbritannien zieht dabei zu Recht den Zorn der übrigen Nettozahler auf sich, denn es beharrt auf dem Sonderrabatt, der angesichts der Wirtschaftskraft des Königreichs nicht mehr gerechtfertigt ist. Doch hätte Premier Blair einem Einfrieren des Rabatts zugestimmt, hätte Großbritannien bis 2013 17 Milliarden Euro mehr nach Brüssel überweisen müssen. Da hätte er auch gleich zurücktreten können, denn die Briten halten auch das leichte Begrenzen des Anstiegs des Rabatts schon für Verrat.
Sturheit
Genauso stur geben sich aber auch Frankreich und Deutschland, deren Bauern von EU-Subventionen profitieren. Landwirtschaft ist heilig. Basta! - heißt es aus Paris und Berlin. Zu leiden haben jetzt wahrscheinlich die kleinen ärmeren Staaten, deren Bevölkerungen dem Beitritt zur Union hauptsächlich wegen der verlockenden wirtschaftlichen Förderung durch die EU zugestimmt hatten. In Polen wird es nun noch schwerer, europäische Projekte, wie die Verfassung in einer Volksabstimmung durchzusetzen.
Die Kosten für die Erweiterung um Rumänien und Bulgarien sind im Haushaltsplan bereits einkalkuliert. Für alle anderen Kandidaten auf dem Balkan gilt: Die Gelder sind nicht eingestellt und die Aussichten auf Zuschüsse aus Brüssel werden insgesamt geringer. Die enormen Kosten für den größten Brocken, die Aufnahme der Türkei, sind bis 2013 überhaupt nicht berücksichtigt. Das Problem stellt sich dann erst bei der nächsten finanziellen Vorschau, die 2011 ausgehandelt werden muss. Auch die türkische Regierung wird sich von der Vorstellung verabschieden müssen, dieselbe Förderung zu erhalten wie sie noch den neuen Mitgliedern in Osteuropa zuteil werden wird.
Auf Großbritannien, das heftig für die Aufnahme der Osteuropäer und der Türken geworben hat, ist offenbar dann kein Verlass, wenn die Rechnung für die Politik präsentiert wird.