Der anachronistisch anmutende und seit Jahrzehnten schwelende Namenstreit zwischen Mazedonien und Griechenland, ein Überbleibsel rückwärtsgewandter Balkanpolitik am Rande der EU, hat oft zu Turbulenzen in beiden Ländern geführt. Erst recht wenn eine Lösung des Konflikts in Sicht ist, wie in diesen Tagen die Entwicklungen in Athen offenbaren. Es zeigt sich, wie schwierig sich in Südosteuropa der Aufbruch in die Moderne gestaltet.
Mitte 2018 haben der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein mazedonischer Amtskollege Zoran Zaef einen Kompromiss ausgehandelt: Der kleine Nachbar Griechenlands soll offiziell künftig "Nordmazedonien" heißen. Der seit 1991 unabhängige Staat würde dann einen Namen tragen, der nach griechischer Lesart keine Ansprüche mehr gegen die gleichnamige nordgriechische Provinz Makedonien und keine Usurpation des antiken makedonischen Erbes begründet. Und Athen würde so den Weg Mazedoniens zur Mitgliedschaft in NATO und EU freimachen - beides Stabilitätsperspektiven für die Region.
Ausverkauf des "heiligen Namens"
Der Kompromiss wurde vergangene Woche endgültig vom mazedonischen Parlament gebilligt. Damit liegt der Ball für die Ratifizierung des Abkommens beim griechischen Parlament. Sofort läuteten die Alarmglocken der Patrioten in Athen: Der stramme Nationalist und Verteidigungsminister Panos Kammenos ist wegen des angeblichen Ausverkaufs des "heiligen Namens" Makedonien am Samstag zurückgetreten und hat damit die mehrheitsbeschaffende Rolle seiner rechtsgerichteten Partei ANEL für die Regierung Tsipras aufgegeben.
Der Ministerpräsident ergreift jetzt mit der Vertrauensfrage die Flucht nach vorne. Die Arithmetik der politischen Machtverhältnisse im Parlament macht einen knappen Sieg für Tsipras wahrscheinlich, da manche ANEL-Abgeordnete trotz des Koalitionsbruchs für den Regierungschef stimmen werden. Und Tsipras ist sogar mit Blick auf die anstehende Abstimmung zur Mazedonien-Vereinbarung zuversichtlich. Danach könnte es vorgezogene Wahlen geben. Da aber spätestens im Oktober sowieso reguläre Wahlen in Griechenland anstehen, könnte Tsipras bis dahin auch mit wechselnden Mehrheiten im Parlament regieren.
Das eigentlich Abschreckende in der Geschichte ist nicht eine vielleicht etwas verkürzte Amtszeit der Regierung Tsipras, sondern die Vehemenz, mit der ein großer Teil der griechischen Parteien eine vernünftige Beilegung des Namensstreits mit dem benachbarten Mazedonien ablehnen. Der laut Umfragen nächste Ministerpräsident Griechenlands, der Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, lehnt das Abkommen ab und will mit Skopje neu verhandeln. Ironie der Geschichte: Sein Vater, der frühere Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis, ist 1993 von seinen eigenen Leuten gestürzt worden, als er nah an einer Kompromisslösung mit Mazedonien war.
Außenpolitischer Popanz
Auch die Sozialdemokraten stemmen sich gegen die Lösung des Problems. Als ob die griechische politische Klasse besser atmen könne, wenn sie sich an angebliche "nationale Fragen" klammert. Es zeigt sich, dass man insbesondere in einem krisengeschüttelten Land wie Griechenland sehr wohl Politik im Schatten eines außenpolitischen Popanzes betreiben kann. Und schon für den kommenden Sonntag planen die Ewiggestrigen Demonstrationen für Makedonien - das griechische selbstverständlich!