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Opfer der Diktaur brauchen Erinnerung!

Robert Schwartz23. August 2016

Wozu noch Gedenktage? Ritualisierte Erinnerungskultur erreicht immer weniger Menschen. Doch das Böse in der Geschichte darf nicht vergessen werden, meint Robert Schwartz.

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Symbolbild Nachruf
Bild: Fotolia/Fiedels

Neulich, auf einer Podiumsdiskussion, überraschte mich ein Student der Politikwissenschaften durch eine provozierende Aussage: Mit den Gedenktagen sei es heute so wie mit den Hemden, sagte er kernig. Jeden Morgen ein frisches aus dem Schrank und abends würde man es ablegen. Am nächsten Tag dann wieder ein neues - und so ginge das tagaus, tagein über alle Jahre hinweg. Das sei alles nur Symbol-Politik und ändere nichts an der Substanz einer Gesellschaft. Menschen würden nie etwas aus ihrer Geschichte lernen und die Fehler der früheren Generationen aller Gedenktage zum Trotz wiederholen. Der Applaus des jüngeren Publikums war ihm sicher. War es jugendlicher Defätismus? Mutlosigkeit? Oder gar Resignation? Nichts von alledem, wie sich während der Diskussion herausstellte. Es war einerseits Ärger über den inflationären Gebrauch von Gedenktagen, andererseits Enttäuschung darüber, dass die Politik nicht im Stande sei, die großen Probleme der Menschheit dauerhaft zu lösen.

Auf den ersten Blick könnte man ihm Recht geben. Ein Gedenktag jagt den anderen, es werden schöne Reden geschwungen, man mahnt und ermahnt - und kehrt dann zurück zum alltäglichen politischen Geschäft. Krieg in der Ost-Ukraine und die Annexion der Krim, Krieg in Syrien, autoritäre Regimes in Moskau und Ankara, Flüchtlinge, islamistischer Terrorismus, Waffenexporte, Finanzkrisen und immer wieder die Unfähigkeit europäischer Politiker zu einem Konsens, zu einer gemeinsamen Haltung zu finden.

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DW-Redakteur Robert Schwartz

Doch wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ja, es gibt verantwortungslose Menschen, die aus der blutigen Vergangenheit nichts gelernt haben. Sie sind zum Glück eine Minderheit. Demokratisch verfasste Gesellschaften gehen voller Verantwortung mit ihrem Erbe um. Manche Gedenk- und Feiertage werden uns in die Wiege gelegt und gehören zu unserem Wertekanon. Andere - wie auch der heutige Gedenktag für die Opfer des Stalinismus und Nationalsozialismus - sind zwar erst wenige Jahre alt, doch nicht minder wichtig. Auch wenn sie manchmal für kontroverse Diskussionen darüber sorgen, ob sie denn nicht nur eine Alibi-Funktion für bestimmte Interessensgruppen hätten und zur Schmälerung der Bedeutung anderer Gedenktage dienten. Solche Vorwürfe machen Angst. Opfer und Verbrechen dürfen nicht miteinander verglichen und schon gar nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Die Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen und des Holocaust kann weder geleugnet noch relativiert werden.

Die Menschheit braucht diese Tage des Erinnerns und Gedenkens. Allzu schnell vergessen würden sonst die Ungeheuerlichkeiten der Geschichte, auch unserer jüngsten europäischen Geschichte. Nazi-Diktatur und Holocaust, Stalinismus und Verbrechen der kommunistischen Diktatur gehören nicht nur in die Schulbücher, sondern in unsere kollektive Erinnerungs- und Gedenkkultur. Erinnern darf ruhig auch über den Gedenktag hinaus reichen. Damit war auch “mein“ Student einverstanden. Und auch damit, dass sein Vergleich mit den Hemden letztendlich in die Mülltonne gehöre.