Wo bleibt die Solidarität?
28. April 2014Die Hoffnungen, die man noch nach dem Ukraine-Gipfel von Genf vor zehn Tagen haben konnte, sind passé. Die Zeichen standen kurz vor Ostern auf Deeskalation. Jetzt ist das Gegenteil eingetreten: Eine pro-russische Soldateska nimmt internationale Beobachter in der östlichen Ukraine als Geiseln. Rathäuser und Polizeistationen bleiben besetzt. Der Westen verhängt neue Sanktionen. Russland auf der einen und die Ukraine, die EU und die USA auf der anderen Seite weisen sich gegenseitig die Schuld an der Zuspitzung der Lage zu. Die unheilvolle Spirale der Eskalation dreht sich immer weiter. Wer kann sie aufhalten? Es sieht so aus, als ob sich der russische Präsident Putin entschieden hätte, die östliche Ukraine ins Chaos schlittern zu lassen, um freie Wahlen in dem Krisenstaat Ende Mai unmöglich zu machen oder zumindest zu diskreditieren. Putin wird für die Ukraine, für die EU, aber auch für die NATO immer schwerer berechenbar. Welchen Sinn hatte zum Beispiel die erneute Verletzung des NATO-Luftraums durch russische Uralt-Langstrecken-Bomber vor einigen Tagen?
Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten, die Russland im März aus dem Klub ausgeschlossen hatten, verhängten erneut Sanktionen gegen einzelne Personen und ausgesuchte russische Unternehmen. Die USA gehen da etwas entschlossener vor als die Europäer, die größere Schäden für ihre eigenen Volkswirtschaften verhindern wollen. Trotz aller unterschiedlichen Interessen hält die Phalanx noch. Doch für wirklich drastische Sanktionen fehlt der Mut und auch der politische Wille. Jetzt schon wirklich schmerzhafte Strafmaßnahmen einzuleiten, würde nur die Eskalation vorantreiben und den verschleppten Beobachtern wohl nicht gut bekommen. Deshalb ist vorsichtiges Agieren angebrachter. Wenn die EU und die USA jetzt bereits scharfe Sanktionen verhängten, hätten sie ihre größte Keule bereits geschwungen. Was würden sie machen, wenn es noch zu echten Kampfhandlungen in der Ukraine kommt, wenn Russland gar mit Truppen einmarschiert? Da militärisches Eingreifen in der Ukraine für den Westen keine Option ist, sollte man das letzte Mittel jetzt noch nicht einsetzen. Vielmehr ist es Zeit für "Genf II", also weitere Gespräche, einen neuerlichen Gipfel. Auch das ist vor zehn Tagen in Genf vereinbart worden. Man muss weiter miteinander reden.
Die Europäische Union muss jetzt vor allem die Ukraine selbst so weit stabilisieren, dass Wahlen wie geplant am 25. Mai stattfinden können. Was ist aus der Idee der EU-Außenminister geworden, eine EU-Mission zur Ausbildung von Polizei und Justiz in die Ukraine zu schicken? Nach der Ankündigung passierte nicht mehr viel. In großer Zahl müssten jetzt Beobachter, Berater und Wahlhelfer aus Europa in den Westen und Osten der Ukraine strömen, um Solidarität zu zeigen. Das passiert leider nicht. Die öffentliche Meinung in Europa ist bedauerlicherweise sehr verhalten. Abends sieht man die neuesten Ungeheuerlichkeiten aus der Ukraine in den Fernsehnachrichten. Das ist schon fast Routine. Die öffentliche Empörung bleibt aus. Wo sind Demonstrationen gegen die russischen Drahtzieher? Wo sind die massiven Mahnwachen vor russischen Botschaften in Europa?
Die schwerste Krise in Europa seit über 25 Jahren wird von der russischen Regierung und prorussischen Milizen weiter verschärft und wir schauen zu. Sanktionen, die nur langsam wirken, helfen da nur begrenzt. Echte politische Zeichen sind gefragt, da die Regierung in Kiew offenbar nicht in der Lage ist, die Herrschaft des Rechts im Osten ihres Landes durchzusetzen. Wie wäre es mit einem Außenministertreffen der EU oder OSZE in Kiew oder besser noch im Osten der Ukraine? Wo sind die Europa-Abgeordneten? Könnte der Auswärtige Ausschuss nicht auch in Donezk tagen? Würde Russland es wagen, auch deren Geiselnahme zu tolerieren? Man muss der Soldateska, wenn man nicht mit Gewalt vorgehen will, auch mit Zivilcourage die Stirn bieten.