Kommentar: Reformagenda mit Risiken
8. Dezember 2014Thomas Bach will es wissen. Die Reformen, die der deutsche IOC-Chef auf die Agenda gebracht hat, sind breit gefächert. Das sportliche Programm der Spiele soll verändert werden, das IOC will sich für mehr Gleichstellung einsetzen und plant den Aufbau eines digitalen Angebots, das die olympischen Sportarten auch zwischen den Spielen präsenter machen soll.
Der möglicherweise wichtigste Punkt des #link:http://www.olympic.org/Documents/Olympic_Agenda_2020/Olympic_Agenda_2020-20-20_Recommendations-ENG.pdf:Reformpakets# betrifft den Ablauf der olympischen Spiele. Den Gastgeberstädten ist es von nun an erlaubt, einzelne Wettbewerbe auch in anderen Städten und sogar anderen Ländern austragen zu lassen. Ein wichtiger Schritt, "insbesondere aus geographischen Gründen und mit Blick auf die Nachhaltigkeit", betont Bach.
In diesem Punkt muss sich das IOC um eine feine Abwägung bemühen. Einerseits sollen die Olympischen Spiele weniger Milliarden verschlingen und insgesamt nachhaltiger werden, andererseits darf auch der Spielraum der jeweiligen Organisationskomitees nicht zu sehr beschnitten werden. Die Gastgeber legen Wert darauf, den Spielen soweit möglich ihren Stempel aufzudrücken und selbst darüber zu entscheiden, wie viel von dem Mega-Event noch Jahre später übrig sein soll.
Geld zählt
Treiber für diese angestrebte Reform ist natürlich das Geld. Die Abstimmung in Monaco kommt zu einem Zeitpunkt, an dem weltweit über die ausufernden Kosten der Spiele diskutiert wird. So haben sich mehrere Städte aus dem Bewerbungsverfahren für die Winterspiele 2022 zurückgezogen, aus Sorge, ein solches Projekt finanziell nicht stemmen zu können. Nur Peking und Almaty in Kasachstan sind noch im Rennen.
Am Wochenende wurden über die Medien sogar Gerüchte laut, dass das IOC den südkoreanischen Gastgebern der Winterspiele 2018 nahegelegt hat, die Bob- und Rodel-Wettkämpfe nach Japan weiterzugeben. So könnten die enormen Baukosten für eine Rodelbahn gespart werden, die nach den Spielen völlig ungenutzt zurückbliebe.
Das IOC scheint in diesem Punkt sensibler geworden zu sein. Kein Wunder, hat doch die schon lange anhaltende Diskussion um das Erbe der Spiele wieder an Fahrt gewonnen. Die Folgen der Gigantomanie und der fehlenden Weitsicht der Olympiaplaner von Athen 2004, Peking 2008 und Sotschi 2014 sind nicht zu ignorieren.
Ebenso wenig lässt sich über die Belange der Menschen hinwegsehen, die die Begeisterung für die olympische Bewegung in sich tragen sollen, lange vor und auch lange nach den Spielen vor ihrer Haustür. Es sind die Einwohner der Gastgeberstädte, die Olympia annehmen müssen, um die Spiele wirklich zu einem Erfolg werden zu lassen.
Dieses gemeinsame Ziel sollte die Gastgeber zusammenschweißen, egal ob für Sommer- oder Winterspiele. Bei den beiden Spielen der abgelaufenen Olympiade war das Gegenteil der Fall. Nach einigem Murren haben sich die meisten Londoner mit dem olympiabedingten Anstieg ihrer Gemeindesteuer und dem Ärger im öffentlichen Nahverkehr aufgrund der Baustellen arrangiert. Als die Spiele 2012 schließlich begannen, lebten sie von der Begeisterung in der Stadt, die es so zuvor nie gegeben hat. Eine einzigartige Stimmung, an die nur die Wettkämpfe in Sydney im Jahr 2000 heranreichen. Im Gegensatz dazu waren die Winterspiele in Sotschi 2014 ein Projekt vom Reißbrett. Perfekt geplant und organisiert, war es für alle, die dabei waren, in letzter Konsequenz ein sportliches Spektakel ohne Seele.
Vordergründig konnte sich das IOC für gelungene Spiele feiern. Den russischen Gastgebern war es in letzter Minute gelungen, die Wettkampfstätten fertig zu stellen. Störgeräusche, wie die Diskussion um die Rolle Moskaus im Ukraine-Konflikt sowie die Lage der Menschenrechte mit Blick auf Homosexuelle in Russland, blieben im Hintergrund. Sotschi lieferte, so Bach, "exzellente" Spiele.
In Wahrheit fanden die Spiele noch nicht einmal in Sotschi statt. Stattdessen wurden die Austragungsstätten in Adler gebaut. Eine verschlafene Küstenstadt mit 75.000-Einwohnern, etwa eine Stunde von Sotschi entfernt. Noch weiter entfernt, in Krasnaya Polyana in den Bergen des Nordkaukasus, wurden die alpinen Wettbewerbe sowie die Wettkämpfe auf der Bob-und Rodelbahn ausgetragen.
So gesehen mussten die Anwohner in Adler fünf Jahre lang ertragen, dass ihre Heimat und damit auch ihr Leben völlig umgekrempelt wird, nur um am Ende Gastgeber Olympischer Spiele zu sein, die nach dem großen Nachbarort benannt wurden. "Wo ist dieses Sotschi, dass auf den vielen Bannern abgebildet ist?" - das war mein Gedanke, nachdem ich schon zwei Wochen vor Ort war. "Wo finden die Spiele statt, für die wir so viel gegeben haben?" – diese Frage schien in den Gesichtern der Menschen geschrieben zu stehen.
Olympische Spiele als Zulieferbterieb?
Durch Bachs Vorschlag ist es nun möglich, die olympischen Spiele noch weiter aufzuteilen, über Stadt- und sogar Landesgrenzen hinaus. Wird das zu einem Bieterwettbewerb führen? Dazu, dass der Meistbietende den Zuschlag für olympische Wettkämpfe bekommt? Die denkwürdigsten Austragungsstätten der olympischen Geschichte sind die mit einzigartiger Kulisse. Der Pool der Wasserspringer über den Dächern von Barcelona oder das Beachvolleyballstadion auf Horse Guards Parade, dem großen Paradeplatz, in London. Die besten Olympischen Spiele waren die, denen es gelang die Athleten und Wettkämpfe an einem Ort zu versammeln, und damit auch die Menschen zusammenzubringen anstatt sie zu zersplittern und zu verteilen.
Am Sonntag hat Bach die IOC-Mitglieder zum Auftakt der Vollversammlung in Monaco noch einmal um Unterstützung gebeten. "Wir leben nicht auf einer Insel", warnte er und fügte hinzu, dass die Olympische Bewegung jetzt agieren müsse, um weiter die Entscheidungshoheit zu behalten, "andernfalls riskieren wir, von Anderen zu Veränderungen gezwungen zu werden."
Mit Sicherheit sollten die Reformen, die der ehemalige Fecht-Olympiasieger anstrebt, nicht blockiert werden, allerdings ist Bach auch in der Pflicht, dem Risiko entgegenzutreten, dass das größte Sportereignis der Welt an Ansehen und Aufmerksamkeit verliert.