Ein "Fall Lisa" war seit Jahren unter deutschen Russlandexperten erwartet und befürchtet worden. Denn seit der Ukrainekrise und der hybriden Kriegsführung Russlands gegen den Westen war unter Spezialisten in Deutschland die Sorge groß, dass die rund vier Millionen Migranten aus der früheren Sowjetunion durch russische TV-Propaganda aufgehetzt und im Sinne des Kremls für dessen Zwecke politisch instrumentalisiert werden könnten.
In diesem Januar - im Umfeld der hitzigen Debatte um die Flüchtlings- und Asylpolitik in Deutschland - sind diese Befürchtungen wahr geworden: Die im russischen Fernsehen verbreitete Lügengeschichte um ein angeblich in Berlin von "südländischen Migranten" vergewaltigtes 13-jähriges Mädchen russischer Herkunft führte zu einer Reihe von Demonstrationen und Kundgebungen von russischsprachigen Einwanderern in Deutschland.
Ein paar Tausend Demonstranten sind gar nichts
Doch wer darin einen Erfolg der russischen Propaganda sieht und zum Schluss kommt, dass sich die russischsprachige Diaspora als Fünfte Kolonne Putins leichtfertig anbietet, verkennt die Realität. Das Gegenteil ist richtig: Der "Fall Lisa" hat gezeigt, dass die russische Propaganda bei der deutlichen Mehrheit der russischsprachigen Menschen in Deutschland nicht verfängt und die "Russen Deutschlands" viel integrierter sind, als deutsche Experten befürchtet hatten.
Denn angesichts der vier Millionen russischsprachigen Menschen in Deutschland sind die insgesamt nur ein paar Tausend Demonstranten bei diversen Kundgebungen in Deutschland eine extrem geringe Zahl. Politisch bedeutsam sind diese "Sowjetdeutschen" - wie sie sich nennen - auf keinen Fall. Zumindest nicht mehr als andere abstruse Spinner, wie beispielsweise die Anhänger der Chemtrails-Verschwörung, die in den Kondensstreifen von Flugzeugen irgendwelche Gifte erkennen wollen. Auch diese Gruppen bringen, wenn sie sich organisieren, in Deutschland ein paar Tausend Demonstranten auf die Straße. Na, und? Die offene Gesellschaft in Deutschland hält das locker aus.
Der "Fall Lisa" hat vielmehr offenkundig gezeigt, dass die überdeutliche Mehrheit der russischsprachigen Deutschen eben doch den Vertretern der Berliner Staatsanwaltschaft glaubt und nicht dem 1. Russischen Kanal. Denn die meisten Deutschrussen sind längst so in Deutschland beheimatet, dass sie ihren eigenen Erfahrungen des deutschen Alltags mehr Vertrauen schenken, als den virtuellen Märchen der russischen Medien.
Russische Diaspora keine Fünfte Kolonne Putins
Sicherlich gibt es auch unter den russischsprachigen Deutschen viele, die die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Merkel skeptisch beurteilen. Das tut ja mittlerweile gut die Hälfte aller Deutschen. Insofern ist es nicht überraschend, wenn dazu eben auch Deutsche russischer Herkunft gehören.
Dass sich die russischsprachige Diaspora in Deutschland als massenhafte Fünfte Kolonne für Putins politischen Einfluss in Deutschland eignen würde, hat der "Fall Lisa" aber widerlegt. Das ist trotz aller medialer Aufregung um den "Fall Lisa" und der berechtigten Kritik an der unverfrorenen Kreml-Propaganda ein zutiefst beruhigendes Ergebnis.
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