Geben wir es zu: Die Ausschreitungen von Chemnitz und die nachfolgende Diskussion lassen viele von uns ratlos zurück. Auch mich.
Da hilft es, wenn man sich erst einmal an vertraute Töne halten kann: die Schlachtrufe der Aufrechten aus dem Kulturleben, die jetzt wieder allenthalben erschallen - Rappen gegen Rechts, Lieder gegen Rechts, Schriftsteller gegen Rechts, Verlage gegen Rechts. Nach den schlimmen Vorfällen von Chemnitz wollen Künstler und Kulturschaffende mobil machen gegen rechte Gewalttäter und Extremisten.
Aufstand der Anständigen
Selbst Schlagerstar Helene Fischer, sonst ein Ausbund des Unpolitischen ("Atemlos durch die Nacht"), bezog vor wenigen Tagen Stellung: "Aufstehen gegen Rechts!" verordnete sie ihren Fans. Deren Jubel hielt sich in Grenzen - dafür mangelte es nicht an bösartigen Schmähungen der Schlagerkönigin im Netz.
Dass es unter den Kulturschaffenden diesen Aufstand der Anständigen gibt, ist gut so. Denn erstens ist er ein sichtbares Statement mit einer eindeutigen Botschaft an die Rechtsextremen und ihre Sympathisanten: Bis hierher und nicht weiter! Und zweitens dient er der Selbstvergewisserung und der Solidarisierung - frei nach dem Motto #wirsindmehr.
Drittens und nicht weniger wichtig: Die Aktionen sind ein klares Signal angesichts höchst irritierender Reaktionen aus der Politik. Sie bieten ein Mindestmaß an moralischer Orientierung dort, wo das lange Schweigen von Bundesinnenminister Horst Seehofer und die irrlichternden Interviewäußerungen von Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen das Vertrauen in Politik und Sicherheitsdienste beschädigt haben.
Kultur kann mehr
Doch das empörte Recken der Faust allein reicht nicht. Die Kulturszene darf sich nicht mit dem oft geprobten moralischen Empörungsmodus begnügen.
Denn sie kann deutlich mehr leisten. Nämlich mit jenen ins Gespräch kommen, die berechtigte Sorgen haben und sich damit allein gelassen fühlen. Dabei muss man genau hinschauen, so wie es Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble getan hat, als er zur Eröffnung der Sitzungswoche des Parlaments sagte: "Die Ereignisse in Chemnitz zwingen uns zu unterscheiden: zwischen den unentschuldbaren Gewaltexzessen und den Sorgen, die viele Bürger umtreiben."
In Chemnitz habe ich den jungen neuen Generaldirektor der renommierten Kunstsammlungen, Frédéric Bußmann, getroffen. Er erzählte von der Angst, die er allenthalben in der Stadt spürt. Angst vor Verlust, vor Veränderung, und ja: Angst vor Migranten und Geflüchteten. Genau auf diese Menschen will er jetzt zugehen und versuchen, sie Schritt für Schritt zurück zu gewinnen. Chapeau!
Natürlich sind Künstler weder Sozialarbeiter noch Seelendoktoren. Und auch bei der dringend gebotenen Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols sind nicht sie, sondern in erster Linie Polizei und Justiz gefragt. Doch die Auseinandersetzung mit den Sorgen und Ängsten der Bürger darf man Polizisten, Richtern und anderen Staatsorganen nicht alleine überlassen.
Schutzräume schaffen für angstfreie Kommunikation
Künstler und Kulturinstitutionen können nämlich etwas, was dem Staat kaum noch gelingt: Schutzräume schaffen, in denen sich bedrängte Menschen angstfrei artikulieren können. In Chemnitz möchten das die Kunstsammlungen gemeinsam mit anderen Kultur-Protagonisten jetzt versuchen. Das sollte Schule machen im ganzen Land!
Dazu müssen aber manche im Kulturbetrieb erst einmal aus ihrer Behäbigkeit und Selbstbezogenheit ausbrechen. Sie müssen begreifen, dass nicht nur vegan lebende Lehrer oder ökologisch bewegte Studenten zu ihrer Zielgruppe gehören. Sondern eben auch die alleinerziehende Verkäuferin oder der mürrische Rentner, die sich sonst eher selten in den Kulturtempeln blicken lassen.
Kultur regen Rechts - das kann nur der Anfang sein. Jetzt muss es in die zweite Runde gehen: aktives Ringen mit Rechts!