1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lobgesang statt Abgesang

Bernd Riegert, Brüssel19. März 2007

Die EU hat es nicht leicht mit ihren Bewohnern. Sie schimpfen auf sie und vergessen dabei, was sie ihr alles zu verdanken haben. Die EU ist ein Erfolgsmodell, sagt Bernd Riegert. Ein Scheitern ist ausgeschlossen.

https://p.dw.com/p/A3UJ
Bernd Riegert

Die Europäische Union ist ein in der Geschichte einmaliger und beispiellos erfolgreicher Staatenverbund. Die Union sorgt dafür, dass die Mitglieder untereinander keine Kriege mehr führen und wirtschaftlich gedeihen können. Die EU ist gemessen an anderen Weltregionen ein nachahmenswertes Modell für regionale Stabilität und Integration. Den Männern und Frauen, die vor 50 Jahren mit großer Weitsicht und politischer Phantasie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) aus der Taufe gehoben haben, gebührt Dank und Anerkennung.

Der schöne Traum ist nicht zu Ende

Die politische Revolution im damals freien Teil Europas begann eigentlich schon sechs Jahre früher mit der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der so genannten Montanunion, die den Grundstein für die dauerhafte Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich legte. Aus den Ruinen der Weltkriege entstand in den 1950er Jahren eine Staatengemeinschaft mit 27 Mitgliedern und einer halben Milliarde Einwohner, die die Vorzüge eines Binnenmarktes, einer Wirtschafts- und Währungsunion, einer beginnenden gemeinsamen Außenpolitik und unbegrenzter Reisefreiheit als Selbstverständlichkeit ansehen. Das ist mehr als sich die Gründerväter Jean Monnet, der erste Präsident der Montanunion, der damalige französische Außenminister Robert Schumann und Deutschlands erster Bundeskanzler Konrad Adenauer erträumt haben mögen.

Der Traum ist aber noch nicht zu Ende. Heute sollten wir wieder von den Vereinigten Staaten von Europa träumen, in denen nationale Interessen noch weiter in den Hintergrund treten. Die EU-Verfassung, die zunächst gescheitert schien, ist dazu nur ein weiterer Schritt. Zwar steckt die EU intern in einer Krise, aber ein Blick auf die vergangenen 50 Jahre zeigt, dass die Union aus Krisen meist gestärkt hervorgegangen ist.

Scheitern ausgeschlossen

Beinahe hätte Frankreich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in den 1960er Jahren mit seiner Blockade von Mehrheitsentscheidungen gesprengt. Die Zeit der so genannten Eurosklerose, in der keiner der Nationalstaaten bereit war, Kompetenzen an die EWG abzutreten, legte in den 1970er und 1980er Jahren die Europäische Gemeinschaft fast lahm. Erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre gewann die EU wieder an Fahrt: EU-Kommissionspräsident Jacques Delors, der ehemalige französische Präsident Francois Mitterand und Altkanzler Helmut Kohl brachten den Binnenmarkt auf den Weg, es folgte eine einheitliche Währung und schließlich fiel der Eiserne Vorhang. Die Europäische Idee wird an der Verfassungskrise und der vermeintlichen Europamüdigkeit nicht scheitern. Sie kann nicht scheitern, weil es keine Alternative gibt.

Natürlich ist die EU durch die Erweiterungen um insgesamt 21 Länder seit 1973 unüberschaubarer, unregierbarer geworden. Doch gerade zur Aufnahme der mitteleuropäischen und osteuropäischen Staaten gab es keine Alternative. Nur die Aussicht auf einen EU-Beitritt konnte Stabilität und beginnenden Wohlstand in den ehemaligen Ostblock exportieren. Der Traum des in Freiheit geeinten Europas wurde wahr. Fast, denn es fehlen noch die Staaten auf dem Balkan, die nach und nach aufgenommen werden müssen. An der Frage, ob auch die Türkei, die Ukraine, Moldawien, Georgien und andere Staaten dazugehören sollten, scheiden sich allerdings die Geister.

Lasst uns feiern!

Die Geschichte der EU ist ein bewegtes Auf und Ab. Das wird so bleiben, aber Europa wird trotz aller Rückschläge weiter zusammenwachsen. Daran wird auch Kritik an dem angeblich kompetenzhungrigen Europa, geäußert von Alt-Bundespräsident Roman Herzog, nicht viel ändern. Traurig ist nur, dass manche Regierungen wie in Polen oder Wahlkämpfer wie derzeit in Frankreich mit unberechtigter Kritik an Brüssel, Stimmung machen wollen.

Euroskepsis hat Tradition. Die Wochenzeitschrift "Der Spiegel" mokierte sich 1957 über die zu hastig ausgehandelten Römischen Verträge. Sie würden negative Folgen für die Wirtschaft haben, die niemand absehen könne. Selbst der damalige Bundeskanzler Adenauer gab zu Protokoll, er wisse nicht so genau, was er da denn alles unterschrieben habe.

Vielleicht werden unsere Enkel in 50 Jahren bereits in einem einheitlichen Europastaat mit einer gemeinsamen Regierung und einem Parlament leben, um in einer Welt, die um Energieressourcen und Wasser konkurriert, bestehen zu können. Phantasie? Eine unmögliche Vorstellung? Nein! Vor 50 Jahren hat auch niemand die heutige EU vorhersehen können, und trotzdem können wir sie heute feiern.