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Sie sollen sich schämen!

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
26. Juni 2015

Die Regierungschefs der EU können sich nicht über die Aufnahme von Flüchtlingen einigen. Hinter dem Streit steckt die Angst vor Rechtspopulisten, meint Barabara Wesel. Elend und beschämend sei das.

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Gruppenphoto beim EU-Gipfel
Bild: Reuters/P. Wojazer

Es war ein Geschachere wie auf dem Teppich-Basar: 60.000 Kriegsflüchtlinge sollen in der EU verteilt werden, und daraus entstand ein giftiger Familienstreit, wie er lange bei einem Gipfeltreffen nicht zu beobachten war. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte ursprünglich eine verpflichtende Quote zur Verteilung vorgeschlagen. Die war schnell vom Tisch, der Streit entzündete sich dann an der freiwilligen Aufnahme. Da rastete Juncker zwischendurch einmal kurz aus und schimpfte, dass er sich einen Teufel um gewisse Einwände der Regierungschefs schere.

Auch der italienische Premier Renzi verlor die Fassung und griff die Osteuropäer an: "Wenn das ihre Idee von Europa ist, dann können sie es behalten". Und am Morgen danach machte auch der belgische Premier Charles Michel seinem Ärger Luft: "Das war ein unwürdiges Spektakel", die ganze Sitzung sei Zeitverschwendung gewesen und man werde in der Zukunft ein großes Problem haben.

Größtes Problem der EU

Das deckt sich mit der Einschätzung der Bundeskanzlerin nach dem Treffen. Sie nannte die Flüchtlingskrise das größte Problem Europas seit dem Beginn ihrer Amtszeit. Dabei hat Angela Merkel schon viel erlebt in Brüssel, unter anderem die Eurokrise. Aber sie scheint zu glauben, dass der Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen die Union zerreißen könnte. Denn bei kaum einem Thema tun sich solche Gräben zwischen den Mitgliedsländern auf. Plötzlich scheint das Eigeninteresse jedes Staates vorrangig gegenüber der humanitären Notwendigkeit, hundertausenden von Menschen, die vor Tod, Krieg und Terrorherrschaft flüchten, das Überleben zu gewähren.

Barbara Wesel Studio Brüssel (Photo: DW/Georg Matthes)
Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in BrüsselBild: DW/G. Matthes

Allen voran geht da immer der britische Premier David Cameron, der für sein Land das Opt-out zieht, ohne humanitäre Aspekte überhaupt zu erwägen. Als ob ihn das Leid der der Flüchtlinge zum Beispiel aus Syrien und dem Irak überhaupt nichts anginge. Dabei hat gerade Großbritannien durch seine eilige Aktion zur Beseitigung des libyschen Diktators Gaddafi dazu beigetragen, dass das Land zerfallen ist und Schlepperbanden freie Bahn haben. Cameron will Reformen von der EU – er sollte bei sich zu Hause anfangen.

Eine Frage des Gewissens

Deutschland geht hier mit gutem Beispiel voran und will 8000 Flüchtlinge aus dem EU Kontingent bei sich aufnehmen. Das entspricht in etwa der Quote, die die Europäische Kommission vorgeschlagen hat. Jetzt wartet Berlin darauf, was die Nachbarn anbieten. Die osteuropäischen Länder leisten den meisten Widerstand und erklären, dass sie wirtschaftlich noch nicht so leistungsfähig sind. Aber auch Polen etwa ist nicht mehr so arm, dass ein paar Tausend weitere Flüchtlinge das Land in die Knie zwingen würden.

Die EU hat fast eine halbe Milliarde Einwohner, wie sollte es da nicht möglich sein, ein paar hunderttausend Syrern, Eritreern oder Sudanesen das Leben zu retten? Im Internet sind hunderte dieser Leidensgeschichten dokumentiert. Die soll sich jeder anschauen und dann guten Gewissens erklären, er wolle jeden Einzelnen dieser Menschen zum Untergang verdammen.

Was hinter all dem steht, ist die banale, elende, politische Angst. Vor dem Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa nämlich, die als Lega Nord in Italien, Front National in Frankreich oder als Dänische Volkspartei mit ihrer Fremdenfeindlichkeit Wählerstimmen gewinnen. Aber davor dürfen sich die Regierungschefs nicht weiter verstecken, sie müssen dem Hass und den Vorurteilen offen und mutig entgegentreten. Sie sollten die Rechte herausfordern, statt sich vor ihr zu weg zu ducken. Denn sonst kann die EU einpacken. Die europäischen Werte stehen nicht zum Verkauf, hatte Ratspräsident Donald Tusk bei diesem Gipfel geschworen. Er und seine Kollegen müssen sich daran messen lassen. Für dieses Spektakel beim Gipfeltreffen aber sollten sie sich schämen.