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So ist das halt, Herr Präsident!

Volker Wagener2. November 2014

Landtagswahl mit Folgen: Die Linke kann in Thüringen erstmals den Ministerpräsidenten stellen. Der Bundespräsident verliert darüber seine Neutralität. Das ist nachvollziehbar und geht dennoch nicht, meint Volker Wagener.

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Joachim Gauck - Foto: DOKfilm
Bild: DOKfilm

Da ist er wieder, der politische Präsident: Joachim Gauck, gelernter Pfarrer, Bürgerrechtler der DDR und einst oberster Hüter der Stasi-Akten. Er macht aus seiner Biografie kein Hehl. Der Mann kann gar nicht anders, als authentisch sein. Dabei sollte er neutral auftreten, ausgleichen im Konflikt, präsidial eben. Die Verfassung sieht das so vor. Aber Gauck lotet die Möglichkeiten, die ihm das höchste Amt im Staate gibt, seit geraumer Zeit neu aus. Er mischt sich ein, bezieht Position. Und das nicht zum ersten Mal.

Die Linke: Problem oder Normalität?

Ausgerechnet zum Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs las er den Russen die Leviten. Er machte dies ganz unter dem Eindruck des Ukraine-Konflikts und wohl ziemlich geschichtsvergessen. Das ging zu weit. Und jetzt hat Gauck den Machtanspruch der Partei "Die Linke" als Problem identifiziert. Denn nur 25 Jahre nach dem Mauerfall schickt sich die Rechtsnachfolgerin von Erich Honeckers SED erstmals an, einen Ministerpräsidenten zu stellen. Die nötige Mehrheit dafür bekommt der designierte Regierungschef Bodo Ramelow im Thüringer Landtag zusammen, mithilfe seiner Juniorpartner SPD und Grüne.

So geht Demokratie eben. Doch der Fall Thüringen bewegt nicht nur den ostsozialisierten Gauck. Vor allem im Westen ereifern sich selbst ernannte Gerechtigkeitsapostel auf scheinheiligste Art über den Wahlausgang von Thüringen. Von Schande ist die Rede und manch einer hält das Wahl-Resultat sogar für unhygienisch. Dabei ist der Fall Thüringen ganz untypisch.

DW-Redakteur Volker Wagener - Foto: Per Henriksen
DW-Redakteur Volker WagenerBild: DW

Die Linke hat 25 Jahre nach dem Mauerfall immer noch eine respektable Position in Ostdeutschland. Sie wurde und wird in Koalitionen gebraucht und in den Kommunen gilt sie als Kümmerer-Partei. Auch der allzu menschliche Hang am Festhalten an denen, mit denen man groß geworden ist, tut sein übriges beim Wähler. Dies alles sorgt für die anhaltende Akzeptanz dieser Erbengemeinschaft der SED, der Sozialistischen Einheitspartei der DDR. Die Linke im Osten ist ein politischer Faktor, der Systemwechsel hat sie gestutzt, aber nicht marginalisiert.

Ramelow, der etwas andere Linke

Im Gegenteil: Denn jetzt kommt Bodo Ramelow. Wenn alles klappt, wird er Deutschlands erster linker Landeschef. Und das hat seine Gründe. Ramelow macht sich interessant, denn er erfüllt nicht die Kriterien des ostdeutsch-linken Soziogramms. Sprich, ihm haftet kein SED-Stallgeruch an. Er kommt aus dem Westen, ist praktizierender evangelischer Christ und macht Wirtschaftspolitik wie ein Konservativer. Er bricht fast alle Tabus, straft jedes Klischee über Linke Lügen, ist aber ein Ossi-Versteher. Jahrelang hatte der Verfassungsschutz ein Auge auf Ramelow, den Rebell aus Hessen, der aber schon mit 14 Krawatte binden konnte. Was für eine deutsch-deutsche Geschichte! Nun will er sich im Dezember in Erfurt zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Und das erzürnt die Konservativen.

Dass die Kinder der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 nun ausgerechnet von den Erben der SED regiert werden möchten, empört die Unionsparteien im Jahr des Mauerfall-Jubiläums. Und sie fragen: Wie viel SED steckt noch in der Ramelow-Linken? Und genau das fragt auch Gauck, wenn er vom Grad des Vertrauens gegenüber der Linken spricht. Da ist der Fall des Abgeordneten Frank Kuschel, dem das Ministerium für Staatssicherheit bescheinigt hatte, "Personen vorbehaltlos zu belasten". Oder Ina Leukefeld, die als Kriminalpolizistin der DDR Ausreisewillige an die Stasi meldete. Sie und andere, sind Altlasten der Linken, die auch 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ost-Berliner Regimes für böses Blut sorgen.

Das ist die Bühne, auf der die Sozialdemokraten nun zu ihrem Auftritt als Juniorpartner der Rot-Rot-Grünen Koalition in Thüringen kommen. Was als Thema bislang ziemlich verniedlicht wurde. Denn die SPD als Steigbügelhalter der Linken ist mindestens politisch pikant, empfanden sich doch die Ost-SPDler als Dissidenten und in Gegnerschaft zur SED. Eine Zumutung für manche und doch wollen Thüringens Sozialdemokraten unter Ramelow mitregieren. Ein Wagnis ist das allemal. Eine Chance aber auch.

Ausbruchsversuch aus der CDU-Gefangenschaft?

Im politisch kleineren Maßstab eines Bundeslandes lässt sich gut experimentieren. War nicht Rot-Grün in der 1980er Jahren in Hessen der Probelauf für die spätere Schröder-Fischer-Ära? So ganz offen sagt es niemand in der Bundes-SPD, aber tatsächlich wird Thüringen nun zum Versuchslabor für Berlin.

Mit der Regierungs-Premiere der Linken in Erfurt - vermutlich Mitte Dezember - beginnt die inoffizielle Operation "raus aus der Gefangenschaft der CDU", in der sich die SPD seit geraumer Zeit sieht. Denn Rot-Grün reicht schon lange nicht mehr für Mehrheiten. Koalitionen mit den Unionsparteien schien lange für Sozialdemokraten der einzig gangbare Weg, mitzuregieren. Denn die SPD ist nur noch halbe Volkspartei und muss sich darauf einrichten, in ihrem 25-Prozent-Biotop zu bleiben.

Rot-Rot-Grün ist absehbar die einzige Möglichkeit im Bund, wenn die SPD in nächster Zeit einmal wieder den Kanzler stellen möchte. Eine Koalitionsoption, die beim Bundespräsidenten für Albträume sorgen dürfte. Das ist eben der Lauf der Demokratie und dem sollte sich der Bundespräsident mit seiner Parteinahme nicht in den Weg stellen.