Kommentar: Terrorgefahr in Kiew
Petro Poroschenko fand nach den blutigen Zusammenstößen vor dem Parlament in Kiew deutliche Worte. Er verurteilte die Gewalt von ukrainischen Nationalisten, die sich vor allem gegen Sicherheitskräfte gerichtet hatte. Das sei eine „anti-ukrainische Aktion“ gewesen. Die Proteste vor dem Parlament, in dem gerade über eine notwendige Verfassungsreform abgestimmt worden war, seien "ein Stoß in den Rücken" der Ukraine. Die Gewalttäter und auch die Organisatoren der Proteste müssten vor Gericht gestellt werden, forderte der ukrainische Präsident.
Das Wort "Terror" nahm Poroschenko nicht in den Mund. Aber was war diese Gewalt dann? Mitten in der Hauptstadt wurde aus den Reihen militanter Nationalisten gegen Angehörige der Nationalgarde und der Polizei ein Sprengsatz geworfen, bei dem es sich offenbar um eine Granate handelte. Ihre Sprengkraft war so groß, dass durch die Explosion mehr als 100 Menschen verletzt wurden, mehrere Nationalgardisten starben. Die Straße vor dem Parlament glich danach einem Schlachtfeld, das an Szenen aus dem Kriegsgebiet Donbass erinnerte.
Schluss mit Euphemismen
Ist damit der Krieg im Donbass auch in Kiew angekommen? Nach wie vor vermeiden ukrainische Politiker, darunter auch Poroschenko, den Begriff "Krieg", wenn von den Kämpfen gegen die von Moskau unterstützten Separatisten in der Ostukraine die Rede ist. Stattdessen sprechen sie von "Terror", gegen den die Armee und Freiwilligenverbände, zu denen auch Nationalisten gehören, in einer "anti-terroristischen Aktion" vorgehen würden.
Der Ausdruck "Terror" beschönigt in der Ukraine noch immer einen Krieg, der inzwischen fast 7000 Tote gefordert hat. Dieser Euphemismus sollte ukrainische Politiker jetzt nicht daran hindern, das Blutbad vor dem Parlament in Kiew als das zu bezeichnen, was es war: als einen Akt des Terrorismus und vielleicht sogar den Versuch eines gewaltsamen Umsturzes. Weil Ultranationalisten sich nicht damit abfinden wollen, dass dieser Krieg nur politisch und damit durch Kompromisse beendet werden kann.
Verfassungsänderungen sind unvermeidlich
Diesem Ziel dient die geplante Verfassungsänderung, die das Parlament am Montag in erster Lesung verabschiedete. Sie gehört zu den Kernforderungen des Minsker Friedensabkommens und soll den ukrainischen Lokal- und Gebietsverwaltungen mehr Macht übertragen. Das würde auch für die von Separatisten besetzten Gebiete im Donbass gelten. Die Dezentralisierung muss allerdings im Rahmen ukrainischer Gesetze erfolgen. Der Vorwurf, eine Autonomie und damit ein Auseinanderbrechen der Ukraine wären die Folge, geht damit ins Leere. Das betont auch Poroschenko immer wieder.
Auch die Kritik, das ukrainische Parlament und die Regierung beugten sich dem Druck internationaler Vermittler wie Deutschland und Frankreich ist falsch. Das demokratisch gewählte Parlament der Ukraine muss und soll in einer freien Abstimmung über die Verfassungsänderungen entscheiden. Es ist bizarr, dass ausgerechnet militante nationalistische Gruppen Granaten auf Polizisten werfen, um so das Parlament an der Ausübung seiner Rechte zu hindern. Das ist der eigentliche Verrat an den nationalen Interessen und nicht die Kompromissbereitschaft der Mehrheit der ukrainischen Politiker, die derzeit im Parlament darum ringt, ob und wie die Verfassungsänderung dazu beitragen kann, den Krieg im Donbass zu beenden.
Demokratie statt Gewalt
Auch im pro-europäischen Lager in Kiew gibt es Kritik an dem Abkommen. Aber insbesondere Politiker aus den Reihen der extremistischen und rechtspopulistischen "Swoboda" und der "Radikalen Partei" meinen, dass der Konflikt in der Ostukraine militärisch gewonnen werden kann. Ihre Vertreter mischten bei den Zusammenstößen in Kiew augenscheinlich in vorderster Front mit. Auch Anhänger des "Rechten Sektors" war offenbar beteiligt.
Gegen radikale Extremisten muss die Ukraine jetzt mit aller Härte der Justiz vorgehen. Zumal durch den Krieg inzwischen viel zu viele Waffen in der Ukraine in Umlauf sind. Diese Militarisierung ist neben dem Krieg im Osten die große Gefahr: Der Staat könnte sein Gewaltmonopol verlieren, wenn er dem Treiben von politischen Gewalttätern kein Ende setzt. In demokratischen Wahlen haben die Ukrainer im vergangenen Jahr ihren Präsidenten, ihr Parlament und damit auch ihre Regierung gewählt. Diese müssen nun die Ukraine auf demokratische Weise aus der Krise führen können. Wer gegen sie mit Gewalt und Granaten vorgeht, ist ein Terrorist.