Was für ein Abschluss für die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag: Kurz nachdem ihm nun auch im Berufungsverfahren die Haftstrafe von 20 Jahren bestätigt wurde, stand der frühere General der bosnischen Kroaten, Slobodan Praljak, auf, rief in den Saal: "Ich bin kein Kriegsverbrecher, ich lehne diesen Urteil ab!" und trank etwas aus einer kleinen Flasche, die er bei sich hatte. Danach sagte er noch: "Das war Gift". Kurze Zeit später starb er im Krankenhaus. Es war ein medial perfekt inszenierter Selbstmord. Praljak, der drei Universitätsdiplome hatte, und zeitweise auch als TV- und Theaterregisseur arbeitete, trank das Gift vor laufenden Kameras aus - in der Gewissheit, dass sowohl in Kroatien, als auch in Bosnien-Herzegowina sehr viele Menschen die Urteilsverkündung live im Fernsehen verfolgen würden.
Und er sollte Recht behalten: Die Medien in Kroatien liefern sich schon fast einen Wettbewerb bei der Verkündung der Trauer wegen des Todes "eines kroatischen Helden". Die kroatische Präsidentin sowie die Außenministerin unterbrachen ihre jeweiligen Auslandsreisen, um so bald wie möglich wieder zu Hause zu sein. Der kroatische Regierungschef Plenković erklärte: "Dieser Akt zeugt von der tiefen moralischen Ungerechtigkeit gegenüber den Kroaten in Bosnien-Herzegowina".
Altbekannte Rituale
Und natürlich regt man sich über das Tribunal auf. Von Unfähigkeit und Ungerechtigkeit ist die Rede, man wittert einen Komplott gegen Kroaten und Kroatien allgemein. Ein kroatisches Mitglied des bosnisch-herzegowinischen Präsidiums, Dragan Čović, verstieg sich gar zu der Aussage: "Die Richter sind nur die Marionetten derjenigen, die sie dahin geschickt haben." Es gab aber auch Lob für das Tribunal, zum Beispiel vom bosniakischen Präsidiumsmitglied Bakir Izetbegović.
Und so, abgesehen von der individuell tragischen, gleichzeitig aber auch demonstrativen Selbstvergiftung, sieht man, dass es sich hier um altbekannte und schon oft erlebte Abläufe handelt. Die Richter des Haager Tribunals sprechen ihr Urteil aus. Die eine Seite sieht sich als Gewinnerin, die andere wirft die Empörungsmaschinerie an. Ob es sich dabei um Kroaten, Serben oder Bosniaken handelt, spielt dabei keine große Rolle. In Serbien ist man nicht müde zu betonen, dass die meisten Verurteilten Serben sind und sie insgesamt zu 1200 Jahre Haft verurteilt wurden, und vier Mal lebenslänglich noch dazu. In Kroatien hat man nun auch einen Märtyrer, der bereit war, für seine Überzeugungen und sein Volk zu sterben.
Es ist zweifellos unglücklich für das Haager Tribunal, dass seine Arbeit mit so einer medialen Aufregung zu Ende geht. Aber ganz ungewöhnlich ist es auch nicht. Von Anfang an wurde die Arbeit des Tribunals von vielen Ländern des früheren Jugoslawiens angegriffen. Die Richter wurden wahlweise angefeindet, als korrupt oder unfähig dargestellt. Es gab im Gerichtssaal skurrile Auftritte des Gründers der Serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, oder aggressive Ausfälle seines einstigen Präsidenten, Slobodan Milošević. Der Saal wurde verlassen und die Richter beschimpft.
Licht am Ende des Tunnels?
Und doch ist die Bilanz des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) überwiegend positiv. In knapp 25 Jahren wurden 161 Personen angeklagt, über 4.600 Zeugen befragt und mehr als 2,5 Millionen Dokumente gesammelt. Zahlreiche hochrangige politische oder militärische Anführer mussten sich vor Gericht verantworten, genau so wie viele kleine Warlords, die nie damit gerechnet hatten, vor einem Gericht zu landen. Es wurden Verbrechen so zweifellos festgestellt, dass kein vernünftiger Mensch sie anzweifeln kann. Endlich hatten die zahlreichen Opfer die Möglichkeit, ihren Peinigern zu begegnen, ohne vor ihnen die Angst haben zu müssen; sie konnten den Tätern im Gerichtssaal in die Augen schauen.
Und auch für die Weiterentwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit hatte das UN-Tribunal eine große Bedeutung. Zum ersten Mal entschied sich der UN-Sicherheitsrat die Prinzipien der UN-Charta nicht mit Waffen, sondern mit den Mitteln des Rechts durchzusetzen. Der deutsche Richter Wolfgang Schomburg sprach deshalb von einem "Quantensprung auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit."
Dass alles eröffnet auch den Völkern des ehemaligen Jugoslawiens die Möglichkeit, Vergangenheitsbewältigung und Versöhnung anzustoßen und zu fördern. Bisher wird aber dieses Potenzial nicht genutzt. Vor allem die politischen Eliten verharren lieber in der für sie höchst lukrativen Pflege der Feindbilder. Mit seiner spektakulären und medial guten Inszenierung der Selbstvergiftung hat nun auch Slobodan Praljak seinen Beitrag dazu geleistet. Und das war kein Versehen. Aber wenn sich die Aufregung legt, wird es vielleicht möglich sein, ein friedliches Zusammenleben zu fördern und eine Zukunftsperspektive für alle zu entwickeln. Das ist allen zu wünschen.
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