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Und plötzlich geht es um mehr als dumme Sprüche

Kommentarbild Autorenbild Sarah Judith Hofmann
Sarah Judith Hofmann
8. März 2016

Vor einem Jahr erschien genau hier der Appell, Frauen sollten sich gegen Chauvi-Sprüche wehren. Nach der Kölner Silvesternacht sieht Sarah Hofmann sich gezwungen, über Frauen als Opfer zu schreiben. Was sie nie wollte.

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Symbolbild Gewalt Frauen Schutz
Bild: picture-alliance/PIXSELL/Puklavec

Köln im März 2016, 22.30 Uhr. Nach einer Lesung laufe ich allein zur U-Bahn. Die Straßen sind dunkel, kaum Laternen. Aber jede Menge Menschen auf dem Weg. Trotzdem checke ich meine Manteltasche: Greife das Handy. Kein Pfefferspray dabei. Mich fröstelt. Ist das nur der Regen?

Plötzlich ist er da, der Gedanke an die Silvesternacht. Jene Nacht vor gut zwei Monaten, die so vieles verändert hat, in der unzählige Frauen sexuell belästigt, bedrängt, begrabscht wurden. Der Staatsanwaltschaft Köln liegen inzwischen 471 Anzeigen von Sexualdelikten vor.

Deutschland hat sich dramatisch verändert

Bis heute sitzt bei vielen Frauen der Schock darüber tief. Auch bei mir. Bis dahin dachte ich, dass wir in Deutschland darüber hinweg seien, über Frauen als Opfer zu sprechen. Und uns darum kümmern könnten, wie wir endlich vollständige Gleichberechtigung erreichen - so wie ich es im vergangenen Jahr gefordert habe.

Doch in diesem einen Jahr hat Deutschland sich dramatisch verändert. Plötzlich nehmen wir nicht mehr die Kriege und Krisengebiete in Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea und vielen weiteren Orten dieser Welt allein aus der Ferne wahr - auch wenn wir das lange schon mit Empathie, Wut und Hilflosigkeit getan haben. Nein, inzwischen sind die Krisen mit den vielen Menschen, die vor ihnen fliehen, zu uns gekommen.

Hofmann Sarah Kommentarbild App
DW-Redakteurin Sarah Judith Hofmann

Damit meine ich nicht allein die mutmaßlichen Täter von Köln, die überwiegend "Männer nordafrikanischer, beziehungsweise arabischer Herkunft" sein sollen. Diese Beschreibung hat in Deutschland zu einer teils unsäglichen Debatte über "den arabischen Mann", über illegale "Wirtschaftsmigranten" und schnelle Abschiebemöglichkeiten "krimineller Ausländer" geführt. Dabei wurde leider häufig übersehen, dass es durchaus legitim ist, zu fragen, welchen Stellenwert Frauen in vielen Teilen dieser Welt haben - und welches Frauenbild jungen Männern in Deutschland vermittelt werden sollte (und jenseits der Familie überhaupt vermittelt werden kann).

Risse in der heilen Welt

Ich spreche auch von den rund 350.000 Frauen, die nach Angaben der Migrationsbeauftragten im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind. Etliche von ihnen haben sexuelle Gewalt erfahren. Manche wurden systematisch von Schleppern über Monate hinweg vergewaltigt und verkauft, andere von Mitreisenden misshandelt. Sie kommen schwer traumatisiert zu uns. Und sie erfahren teilweise weiterhin Gewalt in Flüchtlingsunterkünften - sowohl von Mitbewohnern als auch von Wachpersonal.

Dies ist genauso schockierend wie die Silvesternacht von Köln. Frauen - ganz gleich welcher Herkunft - müssen sich in Deutschland sicher fühlen können. In Flüchtlingsunterkünften ebenso wie an öffentlichen Plätzen. Dies kann nicht allein durch Polizeipräsenz erreicht werden. Ich möchte mich künftig nicht nur in einer Gated Community sicher fühlen, in der an jeder Ecke Wachpersonal steht. Sich abends allein auf der Straße aufhalten zu können, ist ein Privileg, von dem Frauen von Johannesburg über Delhi bis Kairo nur träumen können. Unsere heile Welt hat nun auch in Deutschland Risse bekommen. Wir müssen sie kitten.

Frauen müssen Akteure sein

Indem wir eine sachliche Debatte darüber führen, wie Frauen in unserer Gesellschaft gesehen werden - von deutschen Männern und von Zuwanderern. Dabei ist es wichtig, Frauen nicht nur als Opfer, sondern als handelnde Akteure zu sehen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Dazu gehört es auch, mir selbst zu sagen: "Bloß nicht hysterisch werden." Wenn wir Frauen aufhören, selbstbewusst und völlig selbstverständlich alleine spät abends in eine volle U-Bahn zu steigen, beschneiden wir selbst uns unserer Lebensqualität. Ich brauche kein Pfefferspray in Köln.

Vielleicht kann ich im nächsten Jahr dann auch wieder über Frauen im Job schreiben. Zum Beispiel über jene, die es geschafft haben - heraus aus dem Flüchtlingsheim und hinein ein deutsches Büro. Das wäre schön.

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