1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Unterstützung für das Herz Europas

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
17. April 2019

Großspendern ihre Hilfe für den Wiederaufbau vorzuwerfen und zu fordern, ihr Geld lieber für den Kampf gegen Katastrophen einzusetzen, wird der Bedeutung von Notre-Dame nicht gerecht, meint DW-Chefredakteurin Ines Pohl.

https://p.dw.com/p/3GyVM
Frankreich Paris | Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris
Bild: Getty Images/AFP/Y. Herman

Der Reflex ist nachvollziehbar. Wenn innerhalb kürzester Zeit hunderte von Millionen gespendet werden, um ein Gebäude wieder aufzubauen, darf die Frage gestellt werden: Warum ist so schnell so viel Geld für tote Steine da, wenn gleichzeitig Menschen im Sudan an Hunger sterben? Oder keine Mittel zur Verfügung stehen, um Kindern in Flüchtlingscamps wenigstens eine rudimentäre Schulbildung zu ermöglichen? Allemal, wenn es sich um eine christliche Kirche handelt, wo doch im Christentum die Nächstenliebe im Mittelpunkt stehen sollte. Und diese drücke sich, so eine laute Gemeinde im Internet, wohl kaum durch die Überhöhung eines Bauwerkes aus. Gedanken, die sich nicht nur viele Menschen in Kriegs- und Krisengebieten stellen dürften, sondern auch jene, die täglich auf ihre Art dafür kämpfen, die Welt ein wenig gerechter, ein wenig besser zu machen.

Die Reichen und das Reich Gottes

Es ist absolut wünschenswert, dass die Reichen ihren Wohlstand mit jenen teilen, denen es nicht so gut geht. Gerade für Christenmenschen hat es unbedingt zu gelten, dass Reichtum auch verpflichtet und das Gleichnis Jesu allen Millionären und erst recht den Milliardären zu denken geben sollte: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt."

Richtig ist aber auch, dass es Gebäude gibt, die mehr sind als bloße Steine, sondern Kulturgüter, die das Selbstverständnis von Nationen und Kulturräumen seit Jahrhunderten prägen und deshalb besonders wichtig und schützenswert sind. Notre-Dame gehört zweifelsohne dazu.

Ines Pohl Kommentarbild App
DW-Chefredakteurin Ines PohlBild: DW/P. Böll

Gesellschaften, egal in welchem Kulturkreis, brauchen Symbole, um sich der eigenen Geschichte zu versichern. Herkunft ist dabei so viel mehr als ein Punkt auf der Landkarte. In einer Welt der Verunsicherung sind diese Kulturräume wichtiger denn je. Da sie Heimat und Halt geben können. Für einen Menschen, der weiß, wer er ist, ist das Fremde, Neue, Andere weniger bedrohlich. Unsicherheit ist ein Nährboden für Ausgrenzung und Hass.

Menschen aus der ganzen Welt

Notre-Dame ist auch deshalb ein so wunderbares Symbol, da Millionen von Menschen aus der ganzen Welt diesen geschichtsträchtigen Ort besucht haben. Auch Nicht-Christen ließen sich berühren von der Schönheit, der Würde und der historischen Bedeutung, die diese besondere Kathedrale in der Mitte der französischen Hauptstadt ausstrahlt. Die vielen, vielen Fotos, die Menschen von ihren Besuchen der Kathedrale aus der ganzen Welt seit dem Brand auf Twitter posten, geben Zeugnis dieser Anziehungskraft.

Europa ist mehr als eine landesübergreifende Währung, es ist mehr als ein Wirtschaftsraum. Europa ist ein Kulturraum und Notre-Dame eines seiner zentralen Symbole. Es ist deshalb gut und richtig, dass die Superreichen ganz schnell in die Taschen greifen. Denn auch der Wiederaufbau der Kathedrale wird am Ende ein Symbol der Hoffnung sein.

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl