US-Kongress hilft russischen Nationalisten
Wie kurzsichtig und letztlich kontraproduktiv: Russen, die in die USA reisen wollen, bekommen in Zukunft ihr Visum nur noch in Moskau - nicht mehr in den Generalkonsulaten in anderen russischen Städten. Der Sanktionskrieg der USA und Russlands geht in eine neue Runde, verselbständigt sich, entgleitet den Politikern immer mehr. Am Ende passiert genau das, was die Falken im amerikanischen Kongress eigentlich verhindern wollten: Sie treffen allein die russische Zivilgesellschaft. Schlimmer noch: Sie helfen jenen Politikern, die Russland immer weiter isolieren wollen.
Tausende von Kilometern für ein Visum?
Denn was wird nun passieren, wenn ein russischer Student aus Jekaterinburg oder Geschäftsmann aus Wladiwostok nur noch in Moskau ein US-Visum bekommen kann? Viele können sich die weite und teure Anreise in die russische Hauptstadt gar nicht leisten. Folglich werden sie zu Hause bleiben. Kurzum: Die Zahl der Russen, die sich in Zukunft ein eigenes Bild von Amerika machen können, wird drastisch zurückgehen. Ist es das, was die Falken im Kongress erreichen wollten? Wohl kaum.
Wer Russland, wer die Mentalität der Menschen dort verändern will, muss mit ihnen sprechen, sie einladen, ihnen den angeblich so feindlichen Westen zeigen. Oder, wie das russische Sprichwort sagt: Einmal sehen ist mehr wert als tausendmal hören. Junge Russen, die den Times Square in New York gesehen haben, die Geschäftswelt von London oder das Berliner Kulturleben, kommen verändert in ihrer Heimat zurück. Sie haben einen anderen Blick auf Russland, wie es ist und wie es sein könnte. Diesen Veränderungsprozess zu fördern, müsste eigentlich das vornehmste Ziel westlicher Diplomatie sein. Mit seiner Entscheidung, die Vergabe von US-Visa für Russen drastisch einzuschränken, erreicht Washington genau das Gegenteil.
Mit welchen Maßnahmen kontert Moskau?
Wie geht es weiter? Im russischen Parlament werden schon erste Stimmen laut, die weitere Sanktionen gegen die USA fordern. Russlands Außenminister Sergej Lawrow lehnt das ab. Am Ende dürfte Präsident Putin die Entscheidung treffen. Wie immer sie ausfallen wird: Die amerikanisch-russischen Beziehungen sind an einem neuen Tiefpunkt. Umso wichtiger ist die Rolle Deutschlands: Natürlich ist Berlin ohne Wenn und Aber Teil des Westens, ein treuer Verbündeter der USA. Daran darf und wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Aber die Russlandpolitik von Bundeskanzlerin Merkel ist nuancierter und viel stärker auf die Verfolgung langfristiger Ziele bedacht, als das die Hardliner in Washington je vermuten würden. Angela Merkel hat zugleich die Autorität und die Erfahrung, mäßigend auf Washington einzuwirken. Denn langfristig kann weder in Europa noch in den USA irgendjemand an einem einzig auf sich selbst fixierten Russland Interesse haben.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen themenbezogenen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!