Kommentar: Die Folgen der Dämonisierung der Muslimbrüder
24. März 2014Selten war die für ihre Behäbigkeit bekannte Justiz in Ägypten so "effektiv": In einem Schnellverfahren haben Richter in der oberägyptischen Stadt Minia 529 vermeintliche Anhänger der Muslimbruderschaft wegen angeblicher Beteiligung am gemeinschaftlichen Mord zum Tode verurteilt.
Für diesen "Massen-Prozess" haben sie lediglich zwei Prozesstage benötigt. Eine Anhörung der Verteidigung war aus Sicht des Strafgerichts nicht nötig. Zwar können die Verurteilten Berufung gegen diese beispiellosen Skandalurteile einlegen, dennoch steht heute schon fest: Dieser Tag wird als ein schwarzer Tag in die Geschichte der ägyptischen Justiz eingehen.
Denn die Ad-hoc-Todesurteile lassen alle international anerkannten Mindeststandards der Rechtstaatlichkeit und der Fairness außer Acht. Und sie dokumentieren den Niedergang der einst stolzen Justiz am Nil. Aber noch wichtiger: Sie sind das Werk einer politisierten Justiz, die als Rache-Instrument im Dienste der neuen Machthaber aus Militär und Oligarchie fungiert.
Kein Neubeginn ohne die Einbindung der Muslimbrüder
Die Todesurteile setzen die systematische Kriminalisierung der Mutterorganisation des politischen Islams durch das ägyptische Militärregime fort. Sie drohen, jegliche Chance auf nationale Versöhnung und einen echten Neubeginn im Post-Mursi-Ägypten für immer zu zerstören.
Doch die Politik der Dämonisierung der Islamisten, die Hand in Hand mit der repressiven Ausschaltung säkular-demokratischer Kräfte in einem Klima der Angst und der Hysterie geht, dürfte die Zukunft des größten arabischen Landes aufs Spiel setzen.
Es ist schlicht naiv zu glauben, eine in der breiten Bevölkerung verankerte Massenorganisation wie die Muslimbruderschaft lasse sich mit Gewalt allein beseitigen. Alarmierend hinzu kommen Berichte der Menschenrechtsorganisationen über die massive Zunahme von systematischer Folter in den Gefängnissen des Landes seit der gewaltsamen Absetzung Mursis im Juli 2013. Selbst der ägyptische Nationalrat für Menschenrechte kritisierte kürzlich den Einsatz rücksichtsloser Gewalt gegen unbewaffnete Muslimbrüder.
Ägypten braucht dringend eine nationale Agenda der Versöhnung, die alle politischen Kräfte im Lande einbindet und sich ausschließlich zivilen Mitteln der Konfliktbewältigung bedient. Sonst würde eine neue Generation von Terroristen heranwachsen, die das Land in Angst und Schrecken versetzen würde. Um diese mögliche "Pakistanisierung" Ägyptens zu vermeiden, sollten auch westliche Staaten alles daran setzen, den neuen Machthaber um General Abdel Fattah al-Sisi zur Kurskorrektur zu bewegen - im ureigensten Interesse Europas.