Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der ohnehin weitgehend im Propagandamodus regiert, schaltet dieser Tage noch einmal mehrere Gänge hoch. In einer programmatischen Rede zeichnete er am vergangenen Sonntag ein apokalyptisches Bild von Europa: In den meisten deutschen Großstädten gebe es immer weniger gebürtige Deutsche, Bayern stecke mehr Geld in Flüchtlingsangelegenheiten als in Wirtschaft, Umweltschutz und Gesundheitswesen zusammengenommen, so Orbán. Die größte Gefahr für Europa komme aus dem Westen: Es seien vor allem die Politiker in Brüssel, Berlin und Paris, welche die Existenz Ungarns und des gesamten Kontinents bedrohten. Doch dagegen werde Ungarn mit immer härteren rechtlichen Waffen kämpfen.
Zwangsregistratur aller Flüchtlingshelfer
Es war die rhetorische Begründung für das sogenannte "Stop Soros!"-Gesetzespaket, das jetzt im ungarischen Parlament debattiert wird. Der aus Ungarn stammende US-Milliardär jüdischen Glaubens George Soros, so die fixe Idee der Regierung in Budapest, plane mittels muslimischer Einwanderung die Zerstörung Europas. Ein Gesetzentwurf war bereits Mitte Januar veröffentlicht worden, nun liegt eine verschärfte Variante vor: Alle zivilen Organisationen, die in irgendeiner Form etwas mit Flüchtlingen und Migration zu tun haben, müssen sich einer bis zu neun Monate dauernden Registrierungsprozedur unterziehen, werden unter polizeiliche und geheimdienstliche Aufsicht gestellt, müssen 25 Prozent Steuern auf ausländische Spenden zahlen und können praktisch jederzeit verboten werden.
Es ist außerhalb Russlands ein in Europa beispielloses Gesetzespaket und wäre, wenn es denn in dieser Form verabschiedet werden sollte, ein neuer Meilenstein auf dem Weg des antidemokratischen Umbaus Ungarns.
Doch was ist hiervon wie auch von Orbáns neuen antiwestlichen und antieuropäischen Ausfällen zu halten? Ungarn steckt bereits mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes - am 8. April wählen die Bürger ein neues Parlament. Am Sieg von Orbáns Fidesz-Partei gibt es kaum Zweifel, doch die neuerliche Zwei-Drittel-Mehrheit ist in Gefahr. Unter anderem, weil Orbán dieser Tage wegen einer Korruptionsaffäre seines Schwiegersohnes István Tiborcz unter Druck steht. Dabei geht es um die betrügerische Abschöpfung von mehr als 40 Millionen Euro EU-Fördergeldern.
Die Affäre bestätigt das aktuelle Weltbild vieler Ungarn: In Umfragen halten fast 60 Prozent politische Korruption für das größte Problem im Land. Eine knappe Mehrheit wünscht sich einen Regierungswechsel, allerdings glaubt kaum jemand, dass Fidesz wirklich abwählbar ist.
Orbán meint es ernst
Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass Orbán rhetorisch noch einmal alle Register zieht. Allerdings sollte man sich keinerlei Illusionen über eine mögliche Normalisierung nach der Wahl vom 8. April machen. Allenfalls gegenüber seinen westlichen Partnern wird Orbán etwas geschmeidigere Töne an den Tag legen.
Innenpolitisch hat Ungarns Ministerpräsident ein so ausgeklügeltes und zutiefst korruptes Klientelsystem errichtet, das manche Soziologen Ungarn längst einen "Mafia-Staat" nennen. Es ist ein System, das ohne immer mehr autoritäres Durchregieren und ohne immer schrillere, nationalistische Demagogie nicht bestehen könnte. Außenpolitisch hingegen arbeitet Orbán an einem östlichen Gegenpol zu Brüssel: Die Allianz der Visegrád-Staaten will er zumindest informell um Rumänien, Bulgarien und Kroatien sowie tendenziell auch Österreich erweitern. Am Ende soll ein "Europa der Nationen" stehen, denn die Idee von der EU als einer gemeinsamen Wertegemeinschaft lehnt Orbán ab.
Viel wird darüber diskutiert, wie Ungarns Ministerpräsident doch noch eingebunden und zum Einlenken gebracht werden könnte. Orbán selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er ein "Mann offener Worte" ist, dass er es aber auch ernst meint und umsetzt, was er sagt - genau so betont er es immer wieder. Und das sollten alle Zweckoptimisten bedenken: Er hat bisher noch immer Wort gehalten.
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