Der japanische Regierungschef Shinzo Abe war von Anfang an der loyalste Partner des vor knapp anderthalb Jahren ins Amt gekommenen US-Präsidenten Donald Trump. Abe unterstützte die Trumpsche "Politik des maximalen Drucks" gegen Nordkorea trotz des Kriegsrisikos ohne Wenn und Aber. Nie kam ein kritisches Wort zu Trump über seine Lippen. Selbst die US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium, die Japan als einzige G7-Nation ohne zeitlichen Aufschub aufgebrummt bekam, wurden von ihm fast widerspruchslos geschluckt.
Den USA auf Gedeih und Verderb ausgeliefert
Hinter seiner stoischen Treue zu Trump steckt die Einsicht, dass Japan den USA in Sachen Sicherheit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Ohne US-Atomschirm und US-Militärhilfe ist Japan schutzlos, weil die eigenen Streitkräfte im Korsett der pazifistischen Verfassung eingeschnürt sind. Vor allem kann Japan ohne die USA den Hegemonialanspruch von China in Ostasien nicht in Schach halten.
Auch in der Nordkorea-Krise ist Japan auf die USA angewiesen, damit die eigenen Anliegen berücksichtigt werden. Die drei wichtigsten Punkte hatte Abe vergangene Woche selbst genannt: das Atom- und das Raketenprogramm sowie die Entführten. Damit meint der Premier eine tatsächliche Denuklearisierung von Nordkorea, ein Ende von Raketenbau und -entwicklung sowie die Rückkehr aller Japaner, die Nordkorea in den 1970er- und 1980er-Jahren verschleppt hat.
Daran gemessen war der Gipfel in Singapur eine Niederlage für Japan. Es wurde weder ein Beginn noch ein Zeitplan der Denuklearisierung vereinbart. Das Wort "Raketen" nahmen weder Trump noch Kim in den Mund, auch in der schriftlichen Vereinbarung kommt es nicht vor. Die Entführten hat Trump nach eigenen Angaben gegenüber Kim erwähnt, aber es blieb unklar, was nun folgt. Noch schwerer wiegt, dass Trump die südkoreanisch-amerikanischen Militärmanöver beenden will und über die hohen Kosten und den Abzug der US-Truppen in Südkorea schwadronierte.
Untergraben der Sicherheitsordnung Ostasiens
Falls Trump noch mehr nordkoreanische Wünsche erfüllt, dann wird er die bisherige Sicherheitsordnung in Ostasien ähnlich untergraben, wie zuletzt den freien Welthandel und die G7-Gemeinschaft. Zum Beispiel muss Japan eine Abmachung zwischen den USA und Nordkorea über die Demontage von Langstreckenraketen fürchten, während man selbst in Reichweite der nordkoreanischen Mittelstreckenraketen bliebe. Zudem drohen weitreichende US-Sicherheitsgarantien für Nordkorea das Bündnis zwischen Washington und Tokio zu schwächen.
Sollten sich diese Trends bei den nun folgenden Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea bestätigen, dann könnte sich Japans Außenpolitik dramatisch wandeln. Dann hätte die Regierung ein starkes Argument, den pazifistischen Charakter der Verfassung zu kippen. Die logische Folge wäre eine Aufrüstung mit Angriffswaffen. Auch das Tabu der atomaren Bewaffnung könnte gebrochen werden. Denn falls die USA als Schutzmacht ausfallen, muss Japan sich alleine gegen den eigentlichen Herausforderer China verteidigen. Dafür bräuchte es ein atomares Gleichgewicht des Schreckens zwischen den beiden starken Ländern in Ostasien.
Japan will wieder Akteur werden
Verständlicherweise möchte Abe wieder zum Akteur in der Region werden. Er hat angekündigt, selbst mit Kim zu sprechen. Mit dem Angebot von Wirtschaftshilfe könnte Abe sich zumindest etwas Einfluss verschaffen und womöglich auch die Entführtenfrage lösen. Doch für den jungen Machthaber in Pjöngjang hat Japan keine Priorität. Ihm sind Südkorea, China und Russland als Partner viel lieber als Japan, das als frühere Kolonialmacht in Korea verhasst ist. Womöglich ist das Schicksal der verschleppten Japaner auch so dunkel, dass Kim darüber nicht sprechen will. Daher bleibt Abe vorerst weiter zum Zuschauen verdammt, auch wenn ihm Trump zunehmend Bauchschmerzen verursacht.
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