Volkswagen kommt nicht zur Ruhe. Zugegeben, das ist einer der langweiligsten Sätze, die man schreiben kann. Aber er beschreibt eben in nur fünf Worten nahezu perfekt die Lage bei Europas größtem Autobauer, der seit ein paar Tagen nach Absatzzahlen offiziell sogar die Nummer Eins der Welt ist. Aber diese Nachricht, Toyota überholt zu haben - ein Ziel, das man erst für 2018 angepeilt hatte, und das man angesichts des Dieselskandals auch gar nicht mehr so wichtig fand - diese Nachricht war nur kurzes Licht der Hoffnung in einem den Konzern seit Monaten umtobenden Orkan.
Ein Skandal jagt den nächsten
Freilich bedurfte es keiner hellseherischen Fähigkeiten vorherzusagen, dass Dieselgate den Wolfsburgern wieder und wieder auf die Füße fallen würde. Selbst gute Nachrichten aus den USA über Milliarden teure Vereinbarungen mit der Justiz lassen ja jedes Mal wieder die Wunden aufbrechen. Weil Kundschaft und Aktionären regelmäßig ins Gedächtnis gerufen wird: VW hat betrogen und wird nun zur Rechenschaft gezogen. Dann ist ein paar Tage Ruhe bis zum nächsten Aufreger: als zum Beispiel vor zwei Wochen die Chefaufklärerin im Konzernvorstand, Christine Hohmann-Dennhardt, die Brocken hinschmiss - nach gerade mal 13 Monaten im Amt. Offenbar war sie zu eifrig. Aber andererseits hat sie sich auch nicht dagegen gewehrt, eine Zwölf-Millionen-Abfindung einzusacken.
Und in dieser Regelmäßigkeit geht es weiter. Kaum hatte sich die Aufregung über diesen Skandal gelegt, beschloss ein alter Mann aus Salzburg, die nächste Bombe platzen zu lassen. Ferdinand Piëch, seines Zeichens ehemaliger VW-Chef, und früherer Vorsitzender des Aufsichtsrats, Berufsbezeichnung Patriarch, ließ durchstechen, was er vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt hatte. Am dortigen Landgericht laufen die deutschen Anklagen zum Dieselskandal zusammen. Schon Ende Februar 2015 habe er von den Abgastricksereien Kenntnis gehabt und diese auch an VW weitergeleitet. Doch dort habe man abgewunken.
Schlammschlacht reloaded
Belastet hat Piëch demnach nicht nur den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn, sondern auch Mitglieder des Aufsichtsrates. Sie alle hätten schon früher von den Betrügereien gewusst. Und damit war sie wieder eröffnet, die Schlammschlacht von Wolfsburg. Eine Fortsetzung von House of Cars aus dem Frühjahr 2015. Damals ging Piëch völlig überraschend auf "Distanz" zu Winterkorn. (Wegen der Diesel-Erkennntisse?) Den sich anschließenden Machtkampf allerdings hat der Patriarch dann genauso überraschend verloren. Die damals gegen ihn stimmten, sind die, die Piëch nun belastet. Was für ein wunderbares Drehbuch. Sogar der israelische Geheimdienst ist mit von der Partie.
Was also führt Ferdinand Piëch im Schilde? Er, dem noch immer über ein kompliziertes Konstrukt große Aktienpakete gehören. Ist er auf einem Rachefeldzug? Stimmt nur ansatzweise, was er ausgesagt hat - es wäre der Super-GAU für den VW-Konzern. Auch wenn es ihn, Piëch, mit in die Tiefe reißen würde. Aber womöglich ist das dem 79-jährigen egal. Wenn man weiß, dass es vor dem Gericht in Braunschweig ja vor allem darum geht, dass Anleger ein paar Tage zu spät über den Abgasskandal informiert wurden, und wenn man weiß, dass sich die Klagen in diesem Fall schon auf acht Milliarden Euro summieren: Welche Dimension nimmt das erst an, wenn die Konzernspitze schon viele Monate früher Bescheid wusste?
Was kommt als Nächstes?
Natürlich hat der Aufsichtsrat Piëchs Vorwürfe sehr schnell und entschieden als falsch zurück gewiesen. Von "fake news" war sogar die Rede. Aber warum sollte sich Piëch derart in die Bredouille bringen? Er, der nie impulsiv, sondern stets berechnend agierte. Einer, der sich die besten Anwälte leisten kann: Lügt so einer das Gericht an? Und wenn ja, warum? So also ist es eine Geschichte von Wahrheit und Lüge. Entweder sagt Piëch die Unwahrheit oder seine Ex-Kollegen. Und noch so eine Frage: Welche Pfeile hat der Alte noch im Köcher? Das einzige, was man mit Sicherheit nach dieser erneut turbulenten Wolfsburger Woche sagten kann: Volkswagen wird nicht zur Ruhe kommen. Auf Jahre.
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