Die britische Regierungschefin beschwört eine glorreiche Zukunft: Fremde Länder stehen Schlange, um mit dem Vereinigten Königreich Freihandelsabkommen abzuschließen und ihm Vorteile zu verschaffen. Oder ist es doch eher wie bei Alice im Wunderland, fragt Ken Clarke, konservativer Abgeordneter und einer der EU-Befürworter in seiner Partei - alles nur Fantasie?
Theresa May muss nun schnell Licht in das Dickicht bringen, das den Namen Brexit trägt. Aber das "White Paper", das Regierungspapier, das den Weg in Richtung Brexit genauer ausleuchten soll, ist dabei keine große Hilfe. Es formuliert die ehrgeizigen Ziele: ein Freihandelsabkommen mit der EU, dazu ein neues Zollabkommen, ohne dabei allerdings riesige Summen in den EU-Haushalt einzuzahlen. Warum sich die EU, die sich immer wieder gegen "Rosinenpickerei" der abtrünnigen Briten ausspricht, darauf einlassen sollte, ist ungewiss.
Versprechungen ohne konkrete Inhalte
Den Schotten und den Nordiren, die mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt hatten, macht das Regierungspapier besondere Versprechen: Wenn Brüssel künftig keine Rolle mehr spiele, so könnten die regionalen Parlamente - auch das walisische - mehr Macht bekommen. Aber auch hier bleibt May in ihrem Papier die Details schuldig, welche neuen Kompetenzen denn genau nach Cardiff, Belfast und Edinburgh wandern könnten.
Den Nordiren versicherte Brexit-Minister David Davis im Unterhaus, die Grenze zur Republik Irland bleibe auch weiterhin offen, was für den Friedensprozess auf der grünen Insel besonders wichtig ist. Aber wie das gehen kann, wenn gleichzeitig die Einwanderung aus EU-Ländern kontrolliert und damit unterbunden werden soll, erklärt der Minister nicht.
Niemand kann von Theresa May erwarten, auf alles eine Antwort parat zu haben. Schließlich hängt vieles davon ab, mit wie viel Goodwill die 27 Ex-Partner die Scheidungsverhandlungen führen werden. Und außerdem hatten diejenigen, die jahrelang für den Brexit gekämpft haben (allen voran Brexit-Minister Davis), im Wahlkampf keinen Plan skizziert, sondern lediglich Versprechungen gemacht: Da hieß es zum Beispiel, 350 Millionen Pfund in der Woche könnten - statt nach Brüssel - in Zukunft in das kränkelnde britische Gesundheitssystem fließen.
Schluss mit den Lügen!
Von diesen 350 Millionen Pfund für Großbritanniens Krankenhäuser ist nun keine Rede mehr - jeder weiß, dass die Summe illusorisch ist. Aber dennoch: Die Regierungschefin sollte endlich ehrlich werden. Sir Ivan Rogers zum Beispiel, bis vor kurzem Großbritanniens Botschafter bei der EU, zeichnet ein völlig anderes Bild, als die Regierung in ihrem "White Paper". Er warnt davor, dass es Großbritannien bis zu 60 Milliarden Euro kosten könnte, aus der EU auszutreten. Und er rechnet damit, dass es rund zehn Jahre dauern könnte, bis neue Verträge ausgehandelt sind.
Populistische Versprechungen waren ein Grund dafür, warum sich die Mehrheit der britischen Wähler im Juni gegen die EU entschieden hat. Damit muss nun Schluss sein. Theresa May sollte ehrlich sagen, wie schwierig die kommenden Jahre werden könnten. Denn anders als bei Alice im Wunderland ist der Brexit kein Traum einiger EU-Gegner mehr, sondern harte Realität für das ganze Land.
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