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Zynischer Machtpoker in Syrien

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
26. August 2016

Der türkische Einmarsch in Syrien mischt die Kriegsfronten auf. Die USA unterstützen Erdogans neuen Kurs. Der richtet sich auch gegen die Kurden. Diese dürften von Washington enttäuscht sein, meint Kersten Knipp.

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Türkische Offensive gegen IS in Syrien (Foto: Getty Images/AFP/B. Kilic)
Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Wenn es in der arabischen Welt einen Großmeister des Zynismus gibt, dann ist es der syrische Präsident Baschar al-Assad. Gegen die legitimen Anliegen der eigenen Bevölkerung geht er seit 2011 mit größtmöglicher Brutalität vor. Darüber und durch den berechnenden Entschluss, die religiösen Extremisten aus den syrischen Gefängnissen zu entlassen, entfachte er einen Krieg, der zumindest kurzfristig durchaus zu seinen Gunsten verläuft.

Auf syrischem Boden ließ er ein Monster entstehen, gegen das sich nun die gesamte Staatenwelt verbündet hat: die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). Russland, Iran, Irak und die Hisbollah auf der einen, die Amerikaner, Saudi-Arabien und Katar und die EU auf der anderen Seite: Sie alle schlossen sich im Verlauf des Krieges mehr und mehr zum Kampf gegen den IS zusammen und trugen so dazu bei, dass sich das Assad-Regime an der Macht halten konnte.

Assads Spiel geht auf - in Teilen

Jetzt hat mit der Türkei ein weiterer ehemaliger Assad-Gegner die Seiten gewechselt. Ein Militärkonvoi hat die Grenze zum Nachbarland Syrien passiert. Offiziell geht es um den Kampf gegen den IS, der mehrere blutige Attentate in der Türkei verantwortet. Inoffiziell - und vielleicht sogar vor allem - dürfte es aber auch gegen die Kurden gehen, deren syrische Stellungen die Türkei bislang mit Kampfflugzeugen attackierte.

Assads Spiel ging auf: Gegen die monströsen Gotteskämpfer des IS gelang es ihm, sich ungeachtet massivster Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen als Vorkämpfer im Kampf gegen die Barbarei zu präsentieren. Zumindest sieht die internationale Staatenwelt in ihm das kleinere Übel als in den Kopfabschneidern des IS.

DW-Autor Kersten Knipp (Foto: DW)
DW-Autor Kersten Knipp

Sagen lässt sich allerdings jetzt schon, dass Assads Rechnung bestenfalls in Teilen zu einem guten Ende führen wird. Sich selbst mag er noch eine Weile an der Macht halten. Doch was von dem ihm anvertrauten, von seinem Vater ererbten Staat letztlich übrig bleiben wird, ist mehr als ungewiss. Russland und Iran unterstützen Assad nicht aus reiner Freundlichkeit. Sie werden den Preis ihrer Politik beizeiten nennen.

Kurden vor neuen Herausforderungen

Und was die Türkei angeht: Einem Staatspräsidenten, der sich auf jenen Geist beruft, "der das Osmanische Reich gründete", ist Einiges zuzutrauen. Zum Osmanischen Reich gehörte einst auch das Gebiet des heutigen Syriens. Es ist offen, zu welchen Gedankenspielen die historische Erinnerung in Ankara anregt. Jedenfalls hat Syrien seit dem Einmarsch eine offene Flanke mehr.

Am wenigsten glücklich dürften über den Einmarsch aber die Kurden sein, in Syrien ebenso wie im Irak und in der Türkei. Es scheint, als hätten ihre Pläne auf weitere Autonomie einen erheblichen Dämpfer erhalten.

Einen weiteren erhielten sie Mitte der Woche, als US-Vizepräsident Joe Biden die syrischen Kurden bei einem Besuch in Ankara aufforderte, sich östlich des Euphrats zurückzuziehen. "Wir unterstützen nachdrücklich, was das türkische Militär tut", sagte er am Abend nach einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Zudem drohten die USA den Kurden mit Kürzung der Militärhilfe.

Kühle Realpolitik

Das ist ein deutliches Signal, wo Washingtons Prioritäten liegen - nämlich in Ankara. Die türkisch-russische Annäherung, diskrete türkisch-iranische Gespräche in Teheran, ein neuer Ton in den Verlautbarungen zu Baschar al-Assad: All dies dürften die westlichen Partner der Türkei nicht ohne Sorge vernehmen. Ankara, so die bange Annahme, könnte sich ins russisch-schiitische Lager begeben. Das will man im Westen verhindern. Nichts anderes machte Joe Biden mit seiner Äußerung klar.

Bauernopfer sind die bisherigen Partner der USA im Kampf gegen den IS, die Kurden. Sie dürften sich, knapp hundert Jahre nachdem der bereits angekündigte kurdische Staat von den westlichen Staaten im Ringen um die europäische Nachkriegsordnung wieder kassiert wurde, ein weiteres Mal wenn nicht betrogen, so doch mindestens missachtet fühlen. Die Region bleibt weiter unruhig.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika