Timoschenko bald in Berlin?
5. September 2013In Berlin wird darüber spekuliert, dass Julia Timoschenko zur ärztlichen Behandlung in die deutsche Hauptstadt kommen könnte. Die Deutsche Welle hat aus Mediziner-Kreisen erfahren, dass in einem speziellen Zentrum der Charité in Berlin-Tegel, wo viele prominente Patienten behandelt werden, für die ehemalige Premierministerin der Ukraine ein Krankenzimmer vorbereitet wird.
Einige ausländische Medien nennen sogar schon ein genaues Datum. So schrieb die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza in ihrer Online-Ausgabe vor einigen Tagen, dass Timoschenko am 15. September in Berlin eintreffen werde. Auch der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski, der derzeit als Sondervertreter des Europäischen Parlaments in der Sache Timoschenko vermittelt, wagt eine Prognose. Dem Sender Polskie Radio sagte er, "Timoschenko wird bis Ende September zur Behandlung ins Ausland reisen können". Die Quellen der DW nennen dagegen keinen Zeitpunkt.
Die Zeit wird knapp
Die Zeit drängt, denn Ende November soll in Vilnius der Gipfel der Europäischen Union mit den Teilnehmerländern des Programms "Östliche Partnerschaft" stattfinden. Bei diesem Treffen sollen die EU-Assoziierungsabkommen mit Armenien, Georgien und der Republik Moldau unterzeichnet werden. Ein solches Abkommen, das zudem die Errichtung einer Freihandelszone vorsieht, soll auch mit der Ukraine unterschrieben werden.
Deutsche und europäische Politiker haben wiederholt deutlich gemacht: Eine Voraussetzung für die Unterzeichnung des Abkommens ist die Lösung des Problems Timoschenko. Ihre Inhaftierung wird in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten als ein Beispiel für die Selektivität der ukrainischen Justiz betrachtet. Timoschenko war 2011 in einem umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Im Gefängnis ist sie schwer erkrankt und wird seitdem von Ärzten der Charité behandelt.
Ein Fall mit Symbolkraft
Aus deutscher Sicht habe der Fall Timoschenko eine besondere symbolische Bedeutung. Das erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle Anfang Juli nach einem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Leonid Koschara in Berlin. Westerwelle machte deutlich, die Beseitigung der selektiven Justiz sei eine der Bedingungen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens. Der Bundesaußenminister warb für eine humanitäre Lösung im Fall Timoschenko. "Unser Angebot einer medizinischen Behandlung in Deutschland steht weiterhin", betonte er.
Auch Kiew hat erkannt, dass der Fall Timoschenko zu einem Stolperstein in den Beziehungen zur EU geworden ist. Der ukrainische Außenminister Koschara sagte diesen Sommer in einem DW-Interview, der Streit um Timoschenko sei "fast die einzige Frage, die die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU trübt". Aber die Ukraine sei ein Rechtsstaat, sagte Koschara weiter. Es sei unmöglich, das Problem allein auf politischem Wege zu lösen, auch nicht, wenn irgendjemand in der Ukraine den politischen Willen dazu hätte. "Niemand hat das Recht, eine verurteilte Person zu befreien", sagte Koschara. Ohne die juristische Seite der Sache zu klären, sei es deshalb unmöglich, Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland ausreisen zu lassen.
Wie kann Kiew das Gesicht wahren?
Der ehemalige ukrainische Außenminister Boris Tarasjuk, der heute den parlamentarischen Ausschuss für europäische Integration leitet und einer der Führer der Oppositionspartei "Vaterland" ist, kritisiert die Haltung der ukrainischen Regierung. "Wenn sie das Problem lösen und dabei ihr Gesicht hätte wahren wollen, wäre sie längst auf den Vorschlag der Opposition eingegangen und hätte die umstrittenen Artikel 364 und 365 des Strafgesetzbuches aufgehoben, nach denen Julia Timoschenko verurteilt wurde", sagte Tarasjuk der DW.
Seiner Meinung nach gibt es weitere Möglichkeiten: Zum Beispiel die Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg vom 30. Juli, die Timoschenkos Arrest für rechtswidrig erklärt hatte. "Wenn es den politischen Willen gegeben hätte, dann hätte man sie zur Behandlung freilassen können, so Tarasjuk. Der ehemalige Außenminister wies in diesem Zusammenhang auf die ukrainische Verfassung und die Gesetze zum Schutz der Gesundheit hin. Sie würden die Behandlung einer Person ermöglichen, wenn diesbezüglich im Gerichtsurteil keine Einschränkungen vorgesehen seien. "Und es gibt, was Timoschenko betrifft, keine Einschränkungen", sagte Tarasjuk.
Schließlich gebe es noch eine Option: Die Begnadigung wie im Fall des ehemaligen ukrainischen Innenministers Juri Luzenko. Er war im April 2013 freigekommen. Verurteilt war er wegen Amtsmissbrauchs und Veruntreuung. Die Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments in Kiew hatte beim Präsidenten Viktor Janukowitsch ein Gnadengesuch für Luzenko aus gesundheitlichen Gründen gestellt. "Die Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, zu begnadigen. Die Bedingungen einer Begnadigung werden durch den Präsidenten selbst bestimmt", betonte Tarasjuk.