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Politik

"Konfliktpotential des Balkans bleibt hoch"

Marina Martinovic
6. März 2017

Spaltung, Sezessionsbestrebungen, Proteste gegen die Regierung und Provokationen auf ethnischer Ebene: der Balkan kommt nicht zur Ruhe, sagt die Heidelberger Politologin Silvia Steininger im DW-Interview.

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Mazedonien Demonstrantin bei den Anti-Regierungsproteste in Skopje
"Bunte Revolution": Anti-Regierungsproteste in Skopje, MazedonienBild: Reuters/O. Teofilovski

DW: Im jährlichen Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) sind auch Streitfälle auf dem Balkan erwähnt. Welche Art von Krisen hat das HIIK in dieser Region feststellen können?

Silvia Steininger  - Politologin und Juristin beim Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung
Silvia SteiningerBild: Fotostudio Schwab 2016

Silvia Steininger: In der Region Balkan beobachten wir aktuell 18 Konflikte. Die meisten davon sind nicht gewaltsam. Nur in zwei Konflikten konnten wir im letzten Jahr gewaltsame Maßnahmen feststellen. Das ist, zum einen, der Konflikt zwischen der Opposition und der Regierung in Mazedonien, welchen wir seit 2014 beobachten. Und zum anderen der Konflikt zwischen der Opposition und der Regierung im Kosovo, der dort erst letztes Jahr ausgebrochen ist. Beide Konflikte bewegen sich jedoch lediglich auf dem Level eines „gewaltsamen Krisenkonfliktes" und das ist, unserer Methodik nach, die niedrigste Stufe eines Konfliktes, in welchem Gewalt Anwendung findet.

Im Balkan können wir vor allem drei Gruppen von Konflikten beobachten. Die erste umfasst diejenigen, die einen stark ethnischen Bezug aufweisen. Diese Konflikte sind vor allem die Überbleibsel der Balkankriege und daher in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens am häufigsten vertreten. Die zweite Gruppe sind die sogenannten klassischen Konflikte zwischen Opposition und Regierung. Diese beobachten wir auf einem nicht-gewaltsamen Level, auch in Rumänien und Bulgarien. Und auf einem gewaltsamen Level, wie bereits erwähnt, im Kosovo und in Mazedonien. Die dritte Gruppe beinhaltet Konflikte, welche militante Gruppen betreffen. Das ist beispielsweise der Konflikt zwischen xenophoben, rechten bis rechtsextremistischen Gruppen und Minderheiten in Ungarn oder der Konflikt mit islamistischen Gruppen in Bosnien-Herzegowina.

Ein großes Thema in Bosnien-Herzegowina sind allerdings auch die Sezessionsbestrebungen des serbischen Teilstaates. Wie besorgniserregend ist die Situation in diesem geteilten Land tatsächlich?

Wir haben festgestellt, dass es in den letzten Jahren eine zunehmende Verschärfung des Diskurses um eine mögliche Sezession der serbischen Teilrepublik gab. Doch auch die Bedrohung der staatlichen Souveränität durch islamistische Gruppen sollte man in Bosnien-Herzegowina niemals unterschätzen. So haben sich seit 2012 mehr als 200 bosnisch-herzegowinische Staatsbürger dem bewaffneten Krieg islamistischer Gruppen im Nahen Osten angeschlossen, wovon erst rund 50 zurückgekehrt sind. Vor allem die Kombination dieser beiden Konflikte ist für so ein fragiles Land wie Bosnien-Herzegowina eine große Belastungsprobe.

Festnahme Islamisten Bosnien
Festnahme der Islamisten in Bosnien-HerzegowinaBild: Avaz

Das letzte Jahr war gekennzeichnet von Demonstrationen in Mazedonien. Bürger haben in der sogenannten "bunten Revolution" gegen die Regierung und die Korruption protestiert. Nun gab es in den letzten Tagen auch noch Proteste gegen die Einführung der albanischen Sprache als zweiter Amtssprache. Wie sind Ihre Prognosen für Mazedonien?

Der Oppositionskonflikt in Mazedonien war im letzten Jahr eine der schwersten Krisen, die wir auf dem Balkan beobachten. Und wir konnten auch in den letzten drei Jahren keine Entspannungssituation ausmachen. Wir haben in Mazedonien einen gewaltsamen Level festgestellt und es sieht nicht danach aus, dass der Konflikt deeskalieren würde in diesem Jahr. Unsere Prognose ist deswegen eher negativ.

Die Mediationen durch eine Vielzahl von Organisationen, wie denen der EU, haben nicht zur langfristigen Lösung des Konfliktes geführt. Besonders nach den Wahlen im Dezember ist die Situation sehr angespannt. In diesem Kontext beobachten wir die Proteste um Albanisch als zweite Amtssprache mit großer Sorge. Die Vermischung von Fragen der politischen Herrschaft mit ethnischen Ressentiments ist gerade auf dem Balkan eine äußerst explosive Kombination.

Und wie schätzen Sie die momentane Lage im Kosovo ein?

Kosovo steckt aktuell auch vor enormen Schwierigkeiten. Fast zehn Jahre nach der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung haben sich die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zwar merklich verbessert, es gibt jedoch regelmäßig spannungsreiche Episoden. Eine davon konnten wir aktuell Mitte Januar erleben, als Serbien den ersten Personenzug nach 18 Jahren von Belgrad in das serbisch dominierte Mitrovica im Norden des Kosovo schickte. Der Zug war in den serbischen Nationalfarben mit der Aufschrift "Kosovo ist Serbien" dekoriert. Nach großen Protesten stoppte der serbische Ministerpräsident Vučić den Zug dann an der Grenze. Aber solche Maßnahmen führen natürlich nicht zur Befriedung des Konfliktes zwischen Kosovo und Serbien.

Kosovo Präsidentenwahl Proteste im Parlament
Tränengas im Parlament - Protest der Opposition Bild: picture-alliance/AA/E. Keci

Desweiteren hat sich aber auch innerhalb des Kosovos eine Konfliktlinie zwischen oppositionellen albanischen Nationalisten und der Regierung unter Präsident Hashim Thaci herausgebildet. Da der Kosovo im Jahr 2015 bilaterale Abkommen mit Serbien und auch mit Montenegro geschlossen hat, greifen albanische Nationalisten zunehmend zu Maßnahmen, wie der Nutzung von Tränengas im Parlament oder gewalttätigen Ausschreitungen in der Hauptstadt Prishtina, um die Umsetzung der Abkommen zu verhindern. Der Kosovo bleibt also weiterhin sehr gespalten.

Bleibt der Balkan ein Pulverfass?

In dieser geographisch gesehen eher kleiner Region gibt es eine größere Anzahl an äußerst langlebigen und sehr virulenten Konflikten. Besonders die Zahl der ethnischen Konflikte, welche wir seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten beobachten, hat sich auf dem Balkan in den letzten Jahren kaum verringert. Unserer Meinung nach bleibt das Konfliktpotential des Balkans weiterhin signifikant hoch.

Kann die Europäische Union dazu beitragen, dass der Frieden auf dem Balkan gesichert wird?

Die EU spielt eine sehr große Rolle in dem gesamten Gebiet des Westbalkans. Für die Länder des ehemaligen Jugoslawiens ist die EU eine mögliche Zukunftsoption, auch ganz oft ein Ziel für eine weitere Transformation in Richtung Demokratie. Wir sehen natürlich auch, dass der EU Beitritt Kroatiens für viele dortige Staaten eine ganz große Signalwirkung hatte. Die EU Mitgliedsstaaten sind ja auch im Kosovo aktiv an der Friedenserhaltung im Norden des Landes beteiligt. Aber auch in Bosnien-Herzegowina spielt natürlich die EU im gesamten Staatsapparat eine sehr große Rolle. Wir sehen bei Serbien und bei Montenegro das EU Beitrittsverfahren als einen großen Anreiz dafür, dass die Staaten ihre Konflikte praktisch friedlich lösen. In Mazedonien spielt die EU auch eine große Rolle, weil sie hier immer wieder in den letzten Jahren vermittelnd tätig war zwischen den Konfliktparteien. Es sieht allerdings nicht danach aus, dass diese Anstrengungen in Mazedonien aktuell Früchte tragen.

 

Silvia Steininger ist Politologin und Juristin. Sie ist beim Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) zuständig für die Region Balkan. Das HIIK veröffentlicht seit 1992 ein jährliches Konfliktbarometer (Conflict Barometer), das eine Analyse des globalen Konfliktgeschehens darstellt.

Das Interview führte Marina Martinović