Hutu-Rebellen im Ostkongo
11. Februar 2015In Reih und Glied stehen die Rebellen in einem Zeltlager im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Sie haben die Hände hinter dem Rücken gefaltet, blicken zu Boden. Vorne streckt der Kommandeur die Hand zum Himmel und spricht ein Gebet.
Seit 20 Jahren führen die ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR, der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas, vom Ostkongo aus Krieg gegen das Regime in ihrer Heimat. Für sie ist dies ein heiliger Krieg. Die FDLR-Führung ist zutiefst katholisch. Sie beten täglich, vor allem vor Militäroperationen. Sie tragen Rosenkränze zum Schutz um ihren Hals. Die Anführer predigen aus einem Buch, das "Prophezeiung" heißt und die Ideologie der FDLR wiedergibt. Der Inhalt wird streng geheim gehalten, nur Auszüge sind bekannt. Diese lassen darauf schließen, dass die Chefideologen ihre Bibel benutzen, um ihren Krieg zu legitimieren. Ein Oberstleutnant nennt sich sogar selbst Erzbischof. Er predigt über Funkgerät, berichtet Alphonse Senyoni, der gerade aus der FDLR desertiert ist. Bis vor kurzem war er im FDLR-Hauptquartier für die Verwaltung der Truppen zuständig.
Der höchste Priester in der FDLR habe vor dem Völkermord seine Ausbildung in einem ruandischen Priesterseminar gemacht."Erzbischof" sei sein Kriegsname, so Senyoni. "Wenn die Anführer eine wichtige Nachricht an alle Kämpfer schicken wollen, dann benutzen sie diesen Erzbischof, der diese göttlichen Nachrichten verbreitet. Ich habe das oft erlebt, weil ich neben demjenigen gearbeitet habe, der im Hauptquartier die Funkgeräte bedient. Sein Vorgänger war noch schlimmer", berichtet Senyoni. Dieser wurde jedoch 2009 verhaftet, an das Völkermord-Tribunal für Ruanda überstellt und dort wegen der Teilnahme am Genozid für schuldig erklärt.
Sich rüsten und opfern für den heiligen Krieg
Die Hutu-Rebellen vergleichen sich mit dem von Gott erwählten Volk, den Israeliten, die im Exil ausharren und von einem Propheten in ihr gelobtes Land zurückgeführt werden - nach Ruanda. Sie nennen ihre Kampfeinheiten nach biblischem Vorbild: "Kanaan" und "Sinai". Der Frontlinienkommandeur nennt sich selbst mit Kriegsnamen: "Israel" oder auch "Omega". Als Prophet spielt sich der politische Führer der FDLR auf: ihr gewählter Präsident Ignace Murwanashyaka, der als Flüchtling in Deutschland lebte und 2009 dort verhaftet wurde. Er steht jetzt vor Gericht in Stuttgart, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Führerschaft einer terroristischen Vereinigung. Ihn ersetzt derzeit Victor Byiringiro, ein zutiefst religiöser Extremist, der seinen Kämpfern erklärt, sie kämen in die Hölle, wenn sie desertierten.
„Das ist Propaganda, aber auch ein Mittel, die Moral der Kämpfer zu erhöhen“, sagt Deserteur Seyoni. Die Priester spielen eine wichtige Rolle für die Umsetzung der Militärstrategie. Senyoni nennt ein Beispiel: Nach dem FDLR-eigenen Regelwerk sei es nicht erlaubt, zu plündern oder zu vergewaltigen. Dafür würde man von Gott bestraft. "Aber wenn der Führer die Kämpfer auf einen Rachefeldzug schicken will, dann predigt der Pastor, dass Gott den Auftrag an seine Krieger gegeben habe, einen Plünderungsfeldzug zu unternehmen." Sie predigten auch für den Krieg gegen Ruanda und dass man dafür in den Himmel komme. Die FDLR-Führer seien sehr gläubig. "Vor allem der derzeitige politische Führer, er ist ein Extremist", sagt Senyoni.
Nur noch die Extremisten sind übrig
Das macht auch die Entwaffnung der Kämpfer schwierig. Die Vereinten Nationen mit ihrer Schutz- und Eingreiftruppe für den Kongo, MONUSCO, hat ein Mandat, die Kämpfer zu entwaffnen - zur Not auch mit Gewalt - und sie in ihre Heimat Ruanda zurückzubringen. Rund 10.000 FDLR-Kämpfer wurden in den vergangenen 13 Jahren demobilisiert. Jetzt sind nur noch schätzungsweise 1000 bis 1500 Kämpfer übrig. Doch diese werden von ihren Anführern durch eine radikale Ideologie indoktriniert, zu kämpfen und sich zu opfern, statt zu desertieren. Dagegen anzugehen sei schwer, sagt Adriaan Verheul, Chef des UN-Demobilisierungsprograms.
Es sei wichtig, die Mentalität und Ideologie der FDLR zu kennen, um sie zum Aufgeben zu zwingen, erklärt Verheul: "Wir haben jüngst erst gelernt, dass es auch eine starke religiöse Komponente in der Ideologie dieser Miliz gibt. Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, ebenfalls religiöse Sprecher anzuheuern, die über unsere Radiofrequenzen zu den FDLR-Kämpfern beten und ihnen versichern, dass sie auf den richtigen Weg geführt werden." Er vergleicht die Miliz mit einer Zwiebel: Je mehr man zum inneren Kern vordring und die Häute abziehe, desto mehr bekomme man es mit den Hartlinern zu tun. "Am Ende sind nur noch die Extremisten übrig. Diese Führer fürchten, alles zu verlieren. Deswegen werden sie auch in ihren Methoden radikaler", sagt Verheul.
Die Nähe zur Kirche ist dabei kein Zufall. Die Rolle der katholischen Priester während des Völkermordes in Ruanda 1994 ist vielfach kritisiert worden. Viele verrieten den Tätern, in welchen Kirchen die Tutsi Schutz suchten. Bis heute gibt es dazu keine offizielle Stellungnahme. Kirchenvertreter bemühten sich in den vergangenen Jahren immer wieder, mit der FDLR in Kontakt zu treten. Der Zusammenschluss protestantischer Glaubensgemeinschaften ECC (Eglise du Christ au Congo) bemüht sich, die FDLR-Anführer zu sensibilisieren, freiwillig die Waffen abzugeben. Die katholische Kirchengemeinde Sant'Egidio in Rom hat mehrfach Verhandlungen zwischen der FDLR, Kongos Regierung und der UNO organisiert, zuletzt im Juli 2014. Die Kirchenvertreter beharren darauf, dass sie sich um Frieden bemühen. Doch auch ihre Interventionen blieben bislang erfolglos.