Hubschrauber mit Walflossen
28. Juni 2012Buckelwale werden bis zu 15 Meter groß und erreichen ein Gewicht von bis zu 30 Tonnen. Um sich im Wasser gut bewegen zu können, haben sie sich im Laufe der Evolution perfekt angepasst: Ihr riesiger Körper weist eine ideale Stromlinienform auf. Aber die Brustflossen scheinen nicht zu dem eleganten Bild zu passen: Sie haben nämlich eigentümliche Beulen an der Vorderkante. Und die haben es jetzt Forschern vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) angetan.
Denn obwohl Buckelwale gemächlich durchs Wasser schwimmen, Hubschrauber hingegen schnell durch die Luft fliegen, haben beide ein ähnliches Problem: Den Strömungsabriss. Der tritt auf, wenn ein Wal seine Brustflosse oder ein Hubschrauber sein Rotorblatt zu steil anwinkelt. Dann löst sich die Strömung auf der Rückseite der Flosse oder des Blattes ab, es gibt starke Wirbel und der gewünschte Auftrieb der Flosse im Wasser oder des Rotorblattes in der Luft geht verloren.
Probleme beim schnellen Flug
Bei Hubschraubern tritt der Strömungsabriss, auch bezeichnet als "dynamische Ablösung" vor allem dann auf, wenn ein Rotorblatt sich entgegen der Flugrichtung dreht. Ein solches rücklaufendes Rotorblatt bewegt sich nämlich viel langsamer durch die Luft als ein vorlaufendes Rotorblatt und hat deswegen auch weniger Auftrieb.
Damit Hubschrauber nicht schräg in der Luft hängen und die Blätter immer gleichviel Auftrieb haben, müssen die rücklaufenden Rotorblätter stärker angewinkelt sein, als die vorlaufenden. Deshalb sind Rotorblätter so konstruiert, dass sich ihr Anstellwinkel ständig ändert: bei jeder Rotorumdrehung zwei Mal. Bei sechs Umdrehungen pro Sekunde also zwölf Mal.
Durch dieses ständige Hin und Her treten starke Kräfte auf, sogenannte Nickkräfte. Und die sind umso stärker, je schneller der Hubschrauber fliegt, weil dann ein Strömungsabriss wahrscheinlicher wird. Auf Dauer kann das durchaus gefährlich werden. "Es könnte passieren, dass die Steuerstangen ermüden und dann brechen. Dann ist ein Rotorblatt nicht mehr steuerbar und ein Hubschrauber nicht mehr fliegbar", erklärt Kai Richter, Hubschrauberentwickler am Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt in Göttingen.
Beulen verringern Strömungsabriss
Der Buckelwal hat das Problem des Strömungsabrisses gelöst. Er hat beulenartige Verformungen an den Vorderkanten seiner Brustflosse. Diese Beulen verursachen winzige Wirbel, die die Strömung praktisch an die Flosse heransaugen. So verringern sie den Strömungsabriss. Der Wal kann seine Flosse deshalb viel steiler aufrichten und auch besser manövrieren.
US-Forscher konnten das schon vor einigen Jahren mit einem Walflossenmodell im Windkanal nachweisen. Das brachte Holger Mai, Gruppenleiter für Aeroelastische Experimente beim DLR in Göttingen, auf die Idee, dieses Wirkprinzip auch auf Hubschrauber zu übertragen. Also hat er versucht, die Beulen, die man am Buckelwal sieht, nachzubilden. "Wir haben kleine Gumminoppen probiert, die dann mit Folie überklebt, um eine gleichmäßige, glatte Vorderkante zu bekommen", erinnert sich der Physiker.
Das hatte aber noch nicht den gewünschten Erfolg. Deshalb entwickelte Mai die Idee der Buckelwalflosse weiter. "Wir haben uns gefragt: Wie wirken die Beulen überhaupt? So sind wir darauf gekommen, dass kleine Zylinder, die auch eher scharfkantig sind - im Vergleich zu dem, was man am Buckelwal sieht - doch deutlich besser wirken. Und wir konnten das später dann auch messen."
Dabei kam eine Erfindung heraus: Sogenannte Leading Edge Vortex Generators (LEVoGs), also Vorderkantenwirbelgeneratoren. Sie sehen unspektakulär aus: LEVoGs sind winzig. Ihr Durchmesser beträgt nur etwa sechs Millimeter und sie sind knapp zwei Millimeter hoch. Die künstlichen Beulen werden einfach aus einer Gummimatte mit Klebefolie ausgestanzt und dann auf die Vorderkante der Tragflächen geklebt. Dort sollen sie im Flug winzige Wirbel erzeugen, die dann die Strömung quasi am Rotorblatt festhalten.
Von der Theorie zum Versuch
Im letzten Herbst hat erstmals ein Versuchshubschrauber des DLR mit LEVoGs abgehoben und der Pilot konnte erste Erfahrungen sammeln – zwar noch nicht mit wissenschaftlichen Messmethoden, dafür aber immerhin mit seinem Körpergefühl.
"Der Pilot hat ja immer noch sein berühmtes Popo-Meter, mit dem er ja eine ganze Menge feststellen kann", erklärt Mai. So habe der Pilot aus seiner Erfahrung ein Gefühl, wie sich das Verhalten des Hubschraubers durch die LEVoGs verändert. In der Tat habe der Pilot Veränderungen im Flugverhalten festgestellt. Diese seien zwar spürbar, aber nicht genau definierbar gewesen.
Um jetzt noch wissenschaftlich herauszufinden, was sich an den Rotorblättern genau abspielt, müssen die Göttinger Forscher die Druckverhältnisse am Rotorblatt mit und ohne LEVoGs im Flug messen. Dazu brauchen sie allerdings zuerst ein spezielles Versuchs-Rotorblatt. Dieses wird mit etwa einhundert winzigen Bohrungen mit einem Durchmesser von nur 0,3 Millimetern versehen. Unter jedem Loch wird ein Sensor sitzen und den Druck messen. Mit diesen Daten können die Forscher herausfinden, wie sich die Strömung tatsächlich verändert und daraus errechnen, ob die unerwünschten Nickkräfte am Rotorblatt tatsächlich abnehmen.
Bis die Forscher soweit sind können allerdings noch Jahre vergehen, denn jede Veränderung der Aerodynamik ist sicherheitsrelevant und setzt ein aufwendiges Genehmigungsverfahren voraus. Alleine die Zulassung der LEVoGs für Testzwecke durch das Luftfahrtbundesamt hat fast zwei Jahre gedauert. Auch die Mess-Rotorblätter müssen zuerst noch durch ein langwieriges Zulassungsverfahren laufen.
Deshalb überlegen die Entwickler jetzt, das Wirkprinzip der Buckelwalflossen auch in Bereichen anzuwenden, die weniger sicherheitskritisch sind und in denen deshalb weniger Papierkrieg nötig ist: Zum Beispiel könnte man so Schiffsruder verbessern oder auch Windkraftanlagen effizienter machen.
Hubschrauber-Entwickler Kai Richter hält unterdessen weiterhin Ausschau nach Vorbildern aus der Natur, die ihm Lösungen bieten können. "Immer wenn wir das Thema Strömungsablösung hören, dann schauen wir, wie wurde das gemacht. Dass das jetzt vom Wal kam, ist fast eher Zufall", sagt der Physiker. Denn schon vor etwa 20 Jahren haben Flugzeugkonstrukteure sich Inspirationen im Wasser geholt: Bei der Haifischhaut, die durch ihre Rauheit Strömungswiderstände verringert. Und auch außerhalb der Meere gibt es viele Vorbilder für die Göttinger Strömungsforscher - zum Beispiel bei Vögeln und Fledermäusen.