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Streit um UNESCO-Nominierung

Sarah Judith Hofmann 3. Juli 2015

Die Insel Hashima könnte bald UNESCO-Weltkulturerbe sein, doch das hat zu diplomatischen Verwicklungen geführt: Denn für Korea symbolisiert der Ort nicht die frühe Industrialisierung Japans, sondern Zwangsarbeit.

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Eine Touristengruppe vor der einstigen Kohlemine von Hashima. (Foto: The Yomiuri Shimbun via AP Images)
Die verlassene Insel Hashima: Seit James Bond die Kulisse nutzte, kommen auch die TouristenBild: picture-alliance/AP Images/Y. Shimbun

Lee Sang Keun hat eine Mission. Für die ist er eigens von Seoul nach Bonn gereist. Er will verhindern, dass Hashima und 22 weitere historische Industriestätten zum Weltkulturerbe erklärt werden. Genau dies aber könnte bei der UNESCO-Welterbetagung in Bonn schon an diesem Samstag (4.7.2015) passieren.

Icomos, der Internationale Rat für Denkmalpflege, dem die Rolle eines Beraters der UNESCO zukommt, hat die Annahme des japanischen Antrags bereits empfohlen. Dieser argumentiert, das Ensemble von ehemaligen Industrieanlagen stelle ein Zeugnis der ersten nicht-westlichen Industrialisierung dar.

Lee Sang Keun hofft, dass es nicht so weit kommt. "Zehntausende Zwangsarbeiter mussten an diesen Orten schuften." Die Zeit für seine Mission drängt, seine Mittel sind begrenzt. Er ist kein Politiker, auch kein Delegierter der Konferenz, sondern Mitglied einer kleinen südkoreanischen Nichtregierungsorganisation. In das Konferenzzentrum darf er nicht, also steht er davor in der heißen Sonne. Gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Aktivisten – die meisten von ihnen Deutsch-Koreanerinnen – verteilt er Handzettel, auf denen "Wake Up UNESCO!" steht.

Mitsubishi in der Kritik

"Wir wollen, dass Japan sich entschuldigt für das Unrecht, das es koreanischen Menschen angetan hat", sagt er. Er sei gekommen, um stellvertretend für jene zu demonstrieren, die die weite Reise nicht mehr antreten könnten, weil sie zu alt seien. Wie die 87-Jährige Yang Keum Deok, die mit 14 Jahren gezwungen wurde, in einer Fabrik für Flugzeugteile zu arbeiten, wie Choi Jang Seop, der im selben Alter in einer Kohlemine stand, oder wie Kim Han Su, der heute 97 Jahre alt ist und einst in einer Werft in Nagasaki arbeiten musste. Sie alle waren für die japanische Firma Mitsubishi tätig. Alle, so erzählt Lee Sang Keun von seinen vielen Treffen mit den Zeitzeugen, bekamen während dieser Zeit nicht genug zu essen, zu trinken und keine medizinische Versorgung, wenn sie sich bei der schweren Arbeit verletzten."Wir wollen, dass die Japaner sich entschuldigen", sagen die Demonstranten einstimmig.

Eine Gruppe koreanischer Demonstranten vor dem UNESCO-Konferenzzentrum in Bonn (Foto: Sarah Hofmann/DW)
Sie wollen eine japanische Entschuldigung sehen: koreanische Aktivisten in BonnBild: DW/S. Hofmann

Diplomatische Verwicklungen

Im Konferenzzentrum äußert sich der Vize-Außenminister und Leiter der südkoreanischen Delegation deutlich diplomatischer: "Es geht nicht um eine Entschuldigung, sondern um die Anerkennung historischer Fakten", sagt er. Und doch: Der japanische Vorschlag hat nicht nur Menschenrechtsaktivisten auf die Straße gerufen, sondern für eine veritable diplomatische Krise zwischen beiden Ländern gesorgt. Südkorea hat bereits vor Wochen offiziell Protest gegen den japanischen Vorschlag eingelegt: "Die Aufnahme dieser Orte würde gegen die Würde der Überlebenden verstoßen", so die Erklärung. Sie widerspreche den Statuten und dem Anliegen der UNESCO-Konvention, derzufolge das Welterbe herausragende universelle Bedeutung hat und "allen Völkern der Welt zukommt". Nun bemühen sich beide Seiten, es bei der Unesco-Konferenz nicht zu einem Eklat kommen zu lassen. Die japanische und die südkoreanische Delegation stehen in ständigem Austausch, ebenso die Außenministerien der beiden Länder, um doch noch einen Kompromiss zu erreichen.

Takako Ito, Pressesprecherin der japanischen Delegation (Foto: Sarah Hofmann/DW)
Takako Ito, Pressesprecherin der japanischen Delegation: Sie hofft auf den UNESCO-TitelBild: DW/S. Hofmann

Die offizielle japanische Linie ist eindeutig: "Die Stätten wurden für einen bestimmten historischen Zeitraum nominiert, nämlich von 1850 bis 1910", erklärt Pressesprecherin Takako Ito. "Warum ausgerechnet 1910?", fragt Tae-Yul Cho, Vize-Außenminister und Chef der südkoreanischen Delegation. "Weil Korea genau zu diesem Zeitpunkt japanische Kolonie wurde. Darüber hinaus hat dieses Datum keinerlei Bedeutung. Die meisten der Fabrikgebäude, die heute noch auf Inseln wie Hashima stehen, wurden nach 1910 gebaut. Von koreanischen Zwangsarbeitern." Erst 1948 wurde Korea unabhängig. Die gesamte Geschichte dieser Stätten müsse anerkannt werden, so lautet die offizielle koreanische Forderung. Dann habe man auch nichts gegen eine Verleihung des UNESCO-Welterbestatus.

Hashima – heute ein verlassener Ort

Auf der Insel Hashima, der wohl bekanntesten der UNESCO-nominierten Stätten, wurde 1916 das erste Hochhaus Japans errichtet. Von 1890 bis 1974 betrieb Mitsubishi dort eine Kohlemine. Auf gerade einmal sechs Hektar Fläche lebten zuletzt fast fünfeinhalbtausend Menschen. Neben Koreanern arbeiteten auf der Insel auch Chinesen und Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. Als die Mine schloss, war von einem Tag auf den anderen niemand mehr da. Heute stehen auf der Insel nur noch imposante Ruinen, und die sind inzwischen sogar weltweit bekannt: Im James Bond-Film "Skyfall" versteckt sich dort der Bösewicht. Auch Google Street View und Sony nutzten die Ruinen bereits als Kulisse für Werbefilme.

Die Ruineninsel Hashima. (Foto: Copyright: Nina Fischer & Maroan el Sani und VG Bild- Kunst, 2012)
Eine "moderne Geisterstadt": So bezeichnete eine Berliner Ausstellung 2012 Hashimas IndustrieruinenBild: Nina Fischer & Maroan el Sani und VG Bild- Kunst, 2012 Courtesy Galerie Eigen+Art, Berlin

Der UNESCO-Titel soll der Insel nicht einfach noch größere Berühmtheit verschaffen, sondern Japan als erste nicht-westliche Nation anerkennen, die den Sprung in die Industrialisierung wagte – und das lange vor China, nämlich bereits im 19. Jahrhundert. Für die Kritiker geht die Industrialisierung jedoch einher mit jenem imperialistischem Gebaren, mit dem Japan kurz darauf Korea besetzte.

Japan hat sich bei Südkorea nie offiziell für den Einsatz von Zwangsarbeitern während der japanischen Besetzung entschuldigt. Pressesprecherin Ito verwendet das Wort "Zwangsarbeiter" bewusst nicht. "Wir sprechen von 'zivilen Arbeitern'", sagt sie. Es gebe von Seiten Japans Absprachen mit der UNESCO, dass – sollten Hashima und die weiteren Stätten zum Weltkulturerbe erklärt werden – man sich verpflichte, die gesamte Geschichte dieser Orte kenntlich zu machen. Zu Details könne sie sich aber nicht äußern.

Neben Japan und Südkorea sitzen noch 19 weitere Staaten in dem Komitee, das über den Antrag entscheidet. Darunter auch Deutschland. "Die Japaner sollten sich Deutschland anschauen", sagt der koreanische Delegationsleiter. "Dann werden sie sehen, dass es möglich ist, die eigene Geschichte anzuerkennen." Die Demonstranten vor dem Konferenzzentrum zeigen neben Bildern von Hashimas Ruinen auch Fotos von Willy Brandt im Warschauer Ghetto. Ob es bei der UNESCO-Konferenz in Bonn zu einem japanischen Kniefall kommt, ist fraglich.