"Kosovo ist bemüht, sich der EU anzunähern."
3. November 2013DW: Am Sonntag (03.11.2013) finden im Kosovo Kommunalwahlen statt. Zum ersten Mal hat die serbische Regierung auch ihre Landsleute im Nordkosovo aufgerufen, an den Wahlen teilzunehmen. Wie schätzen Sie die dortige Situation derzeit ein? Was erschwert diese Wahlen?
Johanna Deimel: Natürlich ist es nicht einfach für die Serben. Ihre Teilnahme an den Kommunalwahlen ist Teil des Abkommens zwischen Belgrad und Pristina, das im April durch die EU vermittelt wurde. Mit den Kommunalwahlen verbinden die Serben im Norden des Kosovo viele Ängste, zum Beispiel, dass sie vielleicht die Belgrader Unterstützung ganz verlieren und in die kosovarischen Institutionen eingegliedert werden. Ihr Vertrauen ist nicht fundiert. Man muss davon ausgehen, dass die Wahlbeteiligung nicht allzu hoch sein wird.
Was hätte die Regierung in Pristina besser machen sollen, um das Vertrauen der Serben zu gewinnen, um sie als Bürger des Kosovos zu gewinnen?
Das ist natürlich die zentrale Frage, die sich spätestens seit 2008 stellt, seitdem sich das Kosovo für unabhängig erklärt hat. Auch auf Seiten der Zentralregierung in Pristina waren in der Vergangenheit die Signale gegenüber den Serben nicht eindeutig. Das war natürlich auch deshalb schwierig, weil sich der Norden vollkommen von den zentralen Strukturen abgekapselt hat und dabei auch von Belgrad unterstützt wurde.
Im Moment versucht die Regierung in Pristina trotz aller Schwierigkeiten und großer Probleme, zum Beispiel bezüglich der Einreise serbischer Politiker während des Wahlkampfes, möglichst moderat zu reagieren und die Situation nicht weiter anzuheizen. Es geht natürlich auch darum, dass die Serben im Norden Angst haben, dass sich ihre wirtschaftliche Situation praktisch über Nacht verschlechtert. Sie befürchten, dass ihnen die Geldmittel, die jetzt aus Belgrad fließen, nicht mehr zukommen werden. Viele Serben im Nordkosovo arbeiten zurzeit offiziell als Staatsbedienstete, deren Gehälter aus Belgrad finanziert werden. Diese Stellen könnten unter Umständen gestrichen werden. Damit verlören sie ihr Einkommen. Das ist jetzt ohnehin deutlich höher als im albanisch-kosovarischen Vergleich. Es ist also eine ganz existenzielle Angst, die die Serben umtreibt.
Diese Wahlen bekommen ihre besondere Bedeutung dadurch, dass auch der Norden des Kosovos an den Wahlen teilnehmen soll. Werden diese Lokalwahlen endgültig das Problem der Parallelstrukturen lösen?
Nein, das wäre eine Illusion. Diese Wahlen können aber ein wichtiger Schritt sein, um diese Parallelstrukturen aufzulösen. Dabei geht es zum einen um die Auflösung von sicherheitsdienstlichen Parallelstrukturen. Das erfolgt ja auch im Wesentlichen. Es geht aber auch um die politischen Parallelstrukturen. Ob diese aufgelöst werden, wird im Wesentlichen davon abhängen, wie hoch die Wahlbeteiligung tatsächlich ausfallen wird. Die Mehrheit der Serben im Norden erklärt nach wie vor, dass sie die Wahlen boykottieren wird. Das heißt, selbst wenn es eine Wahlbeteiligung zwischen 15 und 20 Prozent geben würde und daraus politische Kräfte entstünden, die sich als legitimiert begreifen und sich in die zentralen Institutionen einbinden ließen, könnten sich parallel dazu noch immer andere politische Kräfte halten, die die Zusammenarbeit mit Pristina boykottieren. Also: Die Teilnahme der Serben im Nordkosovo an den Kommunalwahlen ist ein erster Schritt. Aber es wird nicht zu einer sofortigen Auflösung der Parallelstrukturen kommen. Da bin ich leider pessimistisch.
Belgrad hat in diesem Jahr viele Zugeständnisse gemacht, denken wir unter anderem an die Tatsache, dass die Serben an den Wahlen teilnehmen können. Kann man das als eine indirekte Anerkennung der Lage sehen? Akzeptiert Serbien die Unabhängigkeit des Kosovos stillschweigend?
Das wichtigste Ziel dieser Verhandlungen besteht darin, das Leben der Menschen zu verbessern. Zudem sollen die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo normalisiert werden. Dies ist eine Bedingung innerhalb des EU-Integrationskontextes. Das ist sowohl für das Kosovo wichtig als auch für Serbien. Und da sind bestimmte, wenn auch schmerzhafte Zugeständnisse zu machen. Das bedeutet aber noch nicht die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos. Das wird auch nicht verlangt.
Die EU-Rechtsstaatsmission EULEX, die für mehr Rechtssicherheit im Kosovo sorgen soll, ist zurzeit sowohl bei Serben als auch bei Albanern ziemlich unbeliebt. Wie schätzen Sie die Position von EULEX nach den Kommunalwahlen im Norden oder im Kosovo im Allgemeinen ein?
Die Akzeptanz ist für EULEX nach wie vor schwierig, da stimme ich Ihnen zu. Für sehr bedenklich halte ich die tödlichen Schüsse auf einen EULEX-Mitarbeiter. Wir können nur hoffen, dass sich die Mitarbeiter der Rechtsstaatsmission bald wieder freier bewegen können. Deutschland stellt im Moment auch den Leiter der EULEX-Mission. Es ist wichtig, dass EULEX vor Ort präsent ist. Denn es gibt offensichtlich nach wie vor die Notwendigkeit, das Kosovo bei der Annäherung an rechtsstaatliche Prinzipien zu unterstützen und auch polizeiliche Aufgaben zu übernehmen.
Am 28. Oktober haben offiziell die Gespräche für das Stabilisierungsabkommen zwischen dem Kosovo und der EU begonnen. Bekommt das Kosovo nun die Belohnung für die Intensivierung des Dialogs mit Serbien?
Nein, das Kosovo wird dafür belohnt, dass es die erforderlichen Schritte und Konditionen für die Annäherung an die EU erfüllt hat. Das ermöglicht jetzt den Beginn der Verhandlungen. Es ist eine zentrale Erfahrung des Erweiterungsprozesses, dass eine Einbindung in den Verhandlungsprozess ein Land mehr voranbringt, als wenn es nicht eingebunden wird. Natürlich können manchmal auch politische oder geostrategische Überlegungen eine Rolle spielen. Aber im Grunde genommen wird bei solchen Verhandlungsprozessen auf die Erfüllung der notwendigen Vorbedingungen geachtet. Das Kosovo ist ja auch bemüht, sich dem anzunähern.
Johanna Deimel ist stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft mit Sitz in München.
Das Interview führte Lindita Arapi.