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Die einmalige Chance

Silke Bartlick9. Januar 2013

Die slowakische Stadt Košice hat eine lange multikulturelle Tradition. Und sie hat erhebliche Probleme. Nun soll die Zukunft gestaltet werden. Denn 2013 ist Košice eine der Kulturhauptstädte Europas.

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St. Elisabeth Dom in Košice (Foto: picture alliance / Arco Images G)
Bild: picture alliance / Arco Images G

Die Gäste des Hotels "Golden Royal" müssen den Hintereingang benutzen. Vor dem eigentlichen Entree des Hauses sind Straße und Bürgersteig verschwunden, die gesamte Flucht hat sich in eine Großbaustelle verwandelt - schwere Baufahrzeuge, Kabel, Rohre, Kieshaufen.

Košice, die kleine Großstadt im Osten der Slowakei, putzt sich heraus. 2013 ist sie Kulturhauptstadt Europas, da fließt viel Geld. Allein 60 Millionen Euro kommen von der Europäischen Union. Folglich gibt es neue Straßen und Plätze, Grünanlagen und natürlich Projekte aller Art: kleine, dezentrale und ganz große, zukunftsweisende wie den Ausbau einer kompletten ausgedienten Kaserne zu einem Kultur- und Kreativzentrum oder den Umbau einer ramponierten Schwimm- in eine multifunktionale Kunsthalle.

Baustelle der künftigen Kunsthalle von Košice (Foto: DW/S. Bartlick)
Noch eine Baustelle: die Schwimmhalle, die zur Kunsthalle werden sollBild: DW/S. Bartlick

An deren rechtzeitige Fertigstellung mag derzeit kaum jemand glauben. "Macht gar nichts", sagt Jan Sudzina, Direktor der Gesellschaft zur Vorbereitung der Kulturhauptstadt-Projekte. Schließlich sollten 2013 keine Festspiele stattfinden. Vielmehr arbeite man an einer langfristigen Transformation Košices von einer postsozialistischen in eine moderne Stadt. Und das heißt konkret: Košice nutzt das Kulturhauptstadtjahr und damit verbundene Annehmlichkeiten wie Geld und Aufmerksamkeit, um sich neu zu erfinden.

Große Pläne

Wenn alles verläuft wie geplant, dann mausert sich die Stadt in absehbarer Zeit zu einer Plattform der kreativen Zusammenarbeit von Unternehmen und Künstlern in der östlichen Slowakei. Dann entsteht hier ein Zentrum der künstlerischen und industriellen Produktion. Dann kommt man an Košice nicht mehr vorbei.

Heute kommt man nicht einmal einfach dorthin. 500 Kilometer sind es von Warschau, 1140 von Berlin, 1550 von Brüssel - mit Bus, Bahn oder dem Auto ist die Reisezeit entsprechend lang. Und direkte Flugverbindungen gibt es nur nach Wien, Bratislava und Prag. "Unser Hauptflughafen ist der in Budapest in Ungarn, drei Zugstunden entfernt", sagt Iveta Ninajova vom Tourismusverband "Visit Košice".

Alte Holzpaletten und ein Fahrrad auf dem ehemaligen Kasernengelände (Foto: DW/S. Bartlick)
Auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne soll ein Kulturpark entstehenBild: DW/S. Bartlick

Košice muss einmal eine blühende und reiche Stadt gewesen sein. Davon zeugen der mächtige spätgotische Dom St. Elisabeth, das historische Theater aus dem späten 19. Jahrhundert und all die prächtigen Häuser in der Altstadt, die die beiden Weltkriege unbeschadet überstanden haben. Ihren lebhaften Aufschwung verdankt die Stadt ihrer Lage an einem Handelsweg und deutschen Siedlern, die "Kaschau", wie sie es nannten, entscheidend prägten.

Jahrhundertelang war Košice eine der bedeutendsten und größten Städte des Königreichs Ungarn. Das geistige Leben blühte, auch der Weg in die Moderne gelang ohne Probleme. Im 19. Jahrhundert entstanden unentwegt neue Manufakturen und Fabriken, man verdiente gutes Geld und zeigte das auch - mit repräsentativen Neubauten im Stil der Gründerzeit.   

Im Strudel der Zeitläufte

Im Dezember 1918, mit dem Ende der Donaumonarchie Österreich-Ungarn, fiel Kaschau an die Tschechoslowakei, von 1938 bis 1945 gehörte es wieder zu Ungarn, von 1945 an erneut zur Tschechoslowakei. Im Februar 1948 übernahm dann die Kommunistische Partei die Regierung des Landes. In Kaschau wurde die Industrialisierung massiv vorangetrieben. Mit der Errichtung der Ostslowakischen Eisenwerke wuchs die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt erneut, immer neue Viertel mit sozialistischen Wohnblöcken wurden gebaut.

Dann ging der Eiserne Vorhang auf. Im Januar 1993 wurde die Tschechoslowakei in die selbstständigen Staaten Tschechien und Slowakische Republik geteilt. Hauptstadt der Slowakei ist seitdem das nahe der österreichischen Grenze gelegene Bratislava, eine Stadt, die "brummt" und so gut wie keine Arbeitslosen hat - während Košice, die schöne, geschichtsträchtige Vielvölkerstadt, ins Abseits geraten ist.

Košice im Schnee
Košice im Schnee

Die Folgen waren schmerzhaft: Verkauf des Stahlwerks, Abbau von Arbeitsplätzen, eine Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent, Abwanderung der Jungen, Kreativen. Etwa 240.000 Einwohner hat die Stadt heute. Neben Slowaken leben hier Tschechen, Ungarn, Ukrainer, Roma, Deutsche. Und nun also die große Chance: Europäische Kulturhauptstadt 2013. Einen Imagewechsel will man begründen, weg von der Industrie-, hin zur Kreativstadt. Öffentliche Räume sollen wiederbelebt, die Bevölkerung eingebunden werden.

Deshalb geht die Kultur 2013 auch in die Wohnviertel und weit hinaus ins Umland. Sie durchdringt die Geschichte der Stadt und fördert Verdrängtes und Verbotenes zutage - wie den Schriftsteller Sándor Márai, der in vielen Ländern verehrt wird, aber in seiner Heimatstadt weitgehend unbekannt ist.

Allerlei Hoffnungen

Und selbstverständlich hofft man auf zahlreiche Besucher. Gut und slowakisch-deftig essen die Menschen in Košice gern. In der Altstadt laden diverse Cafés zum Verweilen ein, die Palette der Unterkünfte reicht vom Studentenwohnheim bis zum komfortablen internationalen Hotel. 2013, sagt Iveta Ninajova vom Tourismusverband "Visit Košice", werden auch Busreisende aus Krakau und Budapest kommen.

Und vielleicht klappt es ja auch noch mit direkten Flügen aus Deutschland und Großbritannien. Festes Schuhwerk sollten die Besucher vorsichtshalber mitbringen. Wegen der aufgerissenen Straßen, und weil man ja nicht so genau sagen kann, wann die Bauarbeiten abgeschlossen sein werden.