Showdown an Libyens Küste
10. März 2014Die Krise zwischen Rebellen im Osten Libyens und der Übergangsregierung in Tripolis spitzt sich weiter zu. Regierungstreue Marineeinheiten konnten am Dienstag (11.03.2014) offenbar nicht verhindern, dass die Aufständischen auf eigene Rechnung Rohöl im Wert von 30 Millionen US-Dollar verschifften. Der Tanker "Morning Glory" konnte trotz der Kriegsschiffe vor der Küste den Hafen von Al-Sidra verlassen, wie sowohl ein Sprecher der staatlichen Ölgesellschaft als auch die Rebellen mitteilten. Al-Sidra wird seit Monaten von Aufständischen gehalten. Noch am Montagabend hatte Tripolis erklärt, das Schiff unter nordkoreanischer Flagge sei unter Kontrolle der Übergangsregierung. Rebellenführer Ibrahim Dschadhran hatte jedoch erwidert, das 37.000-Tonnen-Schiff sei noch immer in der Hand seiner Kämpfer.
Sollte der Tanker sein unbekanntes Ziel erreichen, wäre das ein herber Schlag für die Übergangsregierung unter Premier Ali Seidan. Tripolis wollte die Ausfahrt unbedingt verhindern. Wenn der Tanker auslaufe, werde er zu Schrott zerbombt, hatte Libyens Kulturminister Al-Habib al-Amin gedroht. Die Aufständischen hatten ihrerseits gewarnt, sie würden einen Angriff als Kriegserklärung sehen. In den kommenden Tagen werden auch an anderen von Rebellen kontrollierten Häfen die Spannungen wachsen, da das Übergangsparlament die "Befreiung" aller Häfen binnen einer Woche angeordnet hat.
In dem Konflikt um die Verladeterminals spielen viele Akteure mit. Rebellenchef Dschadhran, ein Milizenführer in der Revolte gegen Diktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011, hält mit seinen Kämpfern drei wichtige Ölhäfen besetzt. Ihm stehen Übergangspremier Seidan, der Oberkommandierende sowie der Generalstabschef der Streitkräfte gegenüber. Doch politische und militärische Führung in Tripolis sind zerstritten. "Der Generalstabschef der Armee folgt offenbar nicht den Befehlen Seidans", sagt der Libyen-Experte Jason Pack von der Universität Cambridge. Allerdings treten auch die Rebellen in der ostlibyschen Region Cyrenaika nicht geschlossen auf. Es gebe offenbar Gruppen, die mit Dschadhran rivalisieren, so Pack im DW-Gespräch. Er ist zugleich Präsident der Beratungsfirma Libya-Analysis.
Der Konflikt zwischen der Übergangsregierung und verschiedenen Milizen schwelt seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011. Die regionalen Milizen, die im Kampf gegen das Gaddafi-Regime entstanden waren, verweigerten ihre Entwaffnung. Mehrfach besetzten sie mit Gewalt Regierungsgebäude, wenn Entscheidungen gegen ihren Willen getroffen wurden.
Rebellen im Osten wollen Zugeständnisse erpressen
Die Krise um den Hafen Al-Sidra hat nach Ansicht des Gießener Geografie-Professors und Libyen-Forschers Andreas Dittmann mehrere Ebenen. Es gehe dabei nicht nur um das Misstrauen vieler Libyer gegenüber dem Staat und um kriminelle Energie. "Noch gefährlicher sind die wieder aufflammenden Ideen von einem nach Unabhängigkeit strebenden Ostlibyen", meint Dittmann. Ihm zufolge trennen kulturelle Unterschiede die Menschen in den verschiedenen Landesteilen seit Jahrhunderten. Die Kluft habe sich während der Kämpfe gegen Gaddafi noch vertieft.
Dagegen sieht Pack in den meisten Rebellen keine Separatisten, die einen eigenen Staat wollen. Sie strebten vielmehr eine föderale Struktur mit weitgehender Eigenständigkeit für die historisch gewachsenen Regionen an. Im Oktober 2013 hatten Dschadhran und seine Mitstreiter eine eigene Regierung für den Osten ausgerufen. Mit der Blockade der Häfen Al-Sidra, Ras Lanuf und Al-Suweitina wollten sie politische Zugeständnisse und einen größeren Anteil an den Exporterlösen erzwingen.
Ölausfuhren weitgehend lahmgelegt
Bislang hat Tripolis meistens versucht, bewaffnete Konflikte zu vermeiden. Die schwache Übergangsregierung kann ihre Autorität gegenüber den Milizen in allen Teilen des Landes nur langsam ausbauen. Dabei leidet sie unter fehlender Legitimation. Es gibt weiterhin keine Verfassung und keine gewählte Staatsführung. Außerdem fehlen Milliarden aus dem Ölgeschäft. Im vergangenen Sommer führte der nordafrikanische Staat etwa 1,4 Millionen Fass am Tag aus. Ende 2013 waren es nach offiziellen Angaben nur noch 250.000 Fass pro Tag. Da Libyen kaum andere Einnahmequellen hat, muss es Devisenreserven verbrauchen. Dem Präsidenten von Libya-Analysis zufolge hat die Regierung noch Reserven für maximal ein Jahr.
So lange kann Tripolis den Konflikt jedoch nicht aussitzen. Wenn die Rebellen auf eigene Rechnung große Mengen Erdöl exportieren, verschiebe sich die Machtbalance zu deren Gunsten, so Pack.
Tripolis hat öffentliche Meinung hinter sich
Der Forscher aus Cambridge glaubt, dass die Regierung Seidan schon viel zu lange gezögert hat gegenüber der Autonomiebewegung. Nun habe die Übergangsregierung für ein hartes Durchgreifen ausländische Regierungen und die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Die USA hatten eine Ölausfuhr durch die Rebellen abgelehnt.
Der Gießener Wissenschaftler Dittmann warnt jedoch vor den dramatischen Folgen, sollte sich der Konflikt zu einem Kampf um die einzelnen Ölfelder und Pumpstationen zuspitzen. "Das wäre quasi eine Fortsetzung der Arabellion, die dann ungebremst hinüberleiten würde in einen failed state, einen gescheiterten Staat", sagt Dittmann. Darüber hinaus bestehe auch die Gefahr, dass radikale Islamisten im Osten Libyens durch den Konflikt weiteren Aufwind bekommen.