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Schlauer Kopf mit acht Beinen

Brigitte Osterath6. August 2016

Oktopusse werden oft als die Intelligenzbestien unter den Meeresbewohnern dargestellt. Sind sie das wirklich? DW-Autorin Brigitte Osterath hat einen Kraken getroffen - und seinen Forscher.

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Giant Pacific Octopus Foto: Jens Büttner dpa/lno
Bild: picture alliance/dpa/J. Büttner

Darwin ist erst vor ein paar Tagen in David Scheels Labor in Anchorage eingezogen - unfreiwillig allerdings. Der Meeresbiologe von der Alaska Pacific University hat den Kraken im Prince William Sound vor Alaskas Küste gefangen. Jetzt werden die Forscher Darwin und sein Verhalten im Aquarium ein Jahr lang genau studieren.

"Er hat noch nicht versucht, aus dem Becken zu flüchten", sagt David Scheels Doktorandin Stephanie und lacht. "Wenn er das wollte, könnte er das sicher. Aber ihm scheint nicht langweilig zu sein." Kein Wunder: Ein Umzug vom Meeresboden ins Laboraquarium ist mit Sicherheit einigermaßen aufregend.

Kraken haben kein Innen- oder Außenskelett und können sich daher durch die kleinsten Löcher zwängen. Selbst Flaschenhälse sind mitunter kein Problem. Noch im April brach Krake Inky aus seinem Aquarium in einem neuseeländischen Zoo aus, wanderte über den Fußboden und entwich über ein Abwasserrohr ins Meer.

Einen Kraken anzufassen ist ein ganz besonderes Erlebnis. Bei Kontakt mit einem seiner acht Arme haften sich sofort Darwins Saugnäpfe an meinem Finger fest - ein tolles Gefühl. "Er schmeckt Sie gerade", erklärt Stephanie. "Am Geschmack kann er die Leute unterscheiden."

Aber Vorsicht, fügt die Doktorandin hinzu, "nicht, dass er beißt." Kraken haben nur einen harten Körperteil - das ist ihr Schnabel, ähnlich dem von Papageien. Damit zerkleinern sie ihre Nahrung: Krabben, Muscheln und mitunter Fische. Der Biss eines Kraken soll zwar harmlos sein, aber weh tun. Es empfiehlt sich also, vorsichtig zu sein und sich nicht zu weit über die langen Arme hinweg in Richtung Krakenkopf vorzuwagen.

Meister der Manipulation

Kraken haben nicht einmal eine Wirbelsäule mit Rückenmark, und trotzdem sind sie viel schlauer, als wir Menschen es von solchen Weichtieren erwarten.

Die Intelligenz von Kraken ist mit der von Ratten, Hunden, Vögeln oder dreijährigen Kindern verglichen worden. "Ich mag diese Art der Vergleiche nicht sonderlich", sagt David Scheel. "Denn die eigentliche Frage ist nicht, wie schlau sie sind, sondern inwiefern. Es gibt keine artübergreifende Skala für Intelligenz." Was genau Kraken gut können - das ist das, was Verhaltensforscher wie Scheel interessiert.

Oktopus im Labor der Alaska Pacific University Foto: Rainer Dückerhoff
Die Saugnäpfe fühlen sich so klasse an!Bild: Rainer Dückerhoff

Geschickt sind Kraken tatsächlich: "Sie können sehr gut Gegenstände handhaben", sagt Scheel, "und beispielsweise Spalten erkunden." So kommen sie an ihre Nahrung auf dem Meeresboden: Steine umdrehen, Muscheln aus Gesteinsritzen klauben, überall neugierig mit ihren geschickten Armen nach Essbaren suchen.

Das bringt es mit sich, dass sie etwa auch Schraubgläser öffnen können. Scheels Laboroktopusse müssen sich einen Teil ihres Futters selbst erarbeiten. Sie bekommen Kinderspielzeuge in der Art eines Mr. Potato Head, der in den USA sehr beliebt ist und durch den Film Toy Story auch weltweit bekannt wurde. Die unterschiedlichen Plastikteile des Spielzeugs lassen sich abnehmen und wieder aufstecken. "Der Krake muss Teile abziehen, um an eine Kammer zu kommen, in der eine Muschel liegt", erklärt Scheel. "Und sie spielen sehr gerne damit."

Auch in vielen Zoos beschäftigen die Pfleger ihre Kraken beispielsweise mit Labyrinthen, aus denen sie ihr Futter heraussammeln müssen.

Nicht von ungefähr

Kraken können Rätsel lösen und schließen bei Labyrinthversuchen besser ab als so manche Wirbeltierart. Sie können auch Menschen unterscheiden - und das nicht nur am Geschmack ihrer Haut. Studien haben gezeigt, dass sie Personen schon erkennen, wenn diese den Raum betreten, in dem das Aquarium steht. Bei Indonesien haben Forscher beobachtet, wie Oktopusse Kokosnussschalen einsammeln, um sich später Schutzhütten daraus zu bauen (YouTube-Video) - vorausschauendes Denken also.

Die Tiere sind nicht nur zufällig schlau, sagt David Scheel. "Oktopusse haben sich zu so intelligenten Wesen entwickelt, um in ihrer komplexen Umwelt erfolgreich zu sein." Wer als Taucher schon mal da unten war, weiß, was Scheel mit "komplex" meint: Korallenriffe, Felsspalten, Sandwüsten, ganze Gebirge unter Wasser - und überall unzählige Lebewesen ganz unterschiedlicher Art, die dort schwimmen, kreuchen und fleuchen oder einfach nur herumstehen.

In dieser Unterwasserwunderwelt bewegt sich der Oktopus recht schnell umher, findet viel leckere Nahrung - trifft aber auch immer wieder auf Gefahren, darunter andere Raubtiere, die gerne Kraken verspeisen. Er interagiert also mit vielen verschiedenen Lebewesen auf vielfältige Weise - das hat seine Intelligenz geformt. Übrigens, fügt Scheel hinzu, nicht nur bei Kraken, sondern auch bei den anderen Tintenfischarten Kalmaren und Sepien. Auch sie sind intelligenter, als ihre Gestalt glauben lässt.

Jeder Arm denkt für sich

Was Scheel an Kraken besonders fasziniert? "Sie haben ein zentralisiertes Gehirn, aber trotzdem hat jeder Arm für sich eine Art von Intelligenz." Die Arme eines Kraken können sich ungesteuert vom Gehirn bewegen - vielleicht ist das der Grund dafür, dass ein Oktopus, der mit mehreren Armen gleichzeitig nach Essen sucht, oftmals etwas unkoordiniert wirkt. "Sogar jeder Saugnapf verhält sich selbstständig - und trotzdem bilden sie gemeinsam ein Individuum."

Selbst wenn Forscher den Tieren im Labor einen Arm abtrennten, reagierte dieser losgelöste Arm noch auf Reize wie Schmerz. Wenn wir eine heiße Herdplatte anfassen, zuckt unsere Hand ganz automatisch wieder zurück. Diese Reaktion ist allerdings rückenmarkgesteuert. Wenn man einem Mensch den Arm abtrennt und diesen an die Herdplatte führt, passiert nichts mehr - bei einem Kraken hingegen schon. Das liegt daran, dass ein Großteil der Nervenzellen eines Kraken nicht im Gehirn, sondern in den Armen angesiedelt sind.

Ein Wort zu Tierversuchen

Wenn Kraken aber so intelligent sind und sogar ihr abgetrennter Arm noch so etwas wie Schmerz empfindet - ist es da ethisch vertretbar, mit ihnen Neugierforschung im Labor zu betreiben?

Seit Januar 2013 ist die Forschung an Kopffüßern in der EU immerhin reguliert, genau wie die Forschung an Wirbeltieren. Wer mit ihnen experimentiert, muss Auflagen erfüllen, die verhindern sollen, dass die Tiere unnötig leiden.

Darwin wird so ein Schicksal, bei dem ihm zu Versuchszwecken die Arme abgetrennt werden, nicht ereilen - verspricht David Scheel zumindest. "Wir halten unsere Kraken immer ein Jahr hier, bis sie zu groß fürs Aquarium geworden sind - dann lassen wir sie wieder frei."

Brigitte Osterath mit Oktopus im Labor der Alaska Pacific University Foto: Rainer Dückerhoff
DW-Autorin Brigitte Osterath im Labor von David Scheel in AnchorageBild: Rainer Dückerhoff

Das beruhigt sehr. Allerdings bleibt es ein Fakt, dass es für reine Verhaltensforschung an lebenden Tieren heutzutage so gut wie keine Forschungsgelder mehr gibt. Viele Forscher sind daher gezwungen, 'ihre' Tiere aufzuschneiden, um ihre Arbeitsgruppe finanziell am Leben zu erhalten. Das gilt nicht nur für Kraken. Aber vermutlich treffen diese Gegebenheiten in der Forschungslandschaft die intelligenten Kraken mit ihren acht eigenständigen Armen besonders hart.