Ansteckender Krebs
22. Juni 2016Ein Forscherteam um den Mikrobiologen und Immunologen Michael Metzger von der Columbia University in New York hat herausgefunden, dass eine Leukämie-ähnliche Krebsart bei Muscheln von einem Tier auf das andere übertragen werden kann.
Die Ergebnisse wurden am 22. Juni 2016 im Fachblatt Nature veröffentlicht. Sie zeigen eine bemerkenswerte Fähigkeit von Tumoren, ihr eigenes Überleben und ihre Verbreitung sicherzustellen, schreiben die Wissenschaftler.
Die Forscher hatten drei Arten von Muscheln genauer untersucht: eine Miesmuschel-Art (Mytilus trossulus), die Gemeine Herzmuschel (Cerastoderma edule) sowie die Goldene Teppichmuschel (Polititapes aureus).
Waren die Muscheln an Krebs erkrankt, hatten sie veränderte Zellen in ihrem Kreislaufsystem. Die Hämolymphe - ein Gemisch aus Blutzellen und Lymphflüssigkeit - der erkrankten Tiere erscheint dann verdickt und undurchsichtig. Die Krebszellen verstopfen das Gewebe der Tiere.
Übertragung von einer Muschelart zur nächsten
Die Wissenschaftler sammelten an verschiedenen Gebieten in Spanien und Kanada Muscheln der drei Arten und bestimmten, ob ein Tier erkrankt war oder nicht. Anschließend analysierten sie das Erbgut der Krebszellen sowie das des normalen Gewebes.
Auf diese Weise stellten sie fest, dass bestimmte genetische Merkmale im veränderten Gewebe nicht mit denen im gesunden Gewebe übereinstimmten. Allerdings fanden sie in den Tumoren verschiedener Tiere die gleichen Merkmale. Dies deute darauf hin, dass die Krebszellen zwischen einzelnen Tieren übertragen werden können, folgerten die Wissenschaftler der Columbia University.
Bei der Goldenen Teppichmuschel fanden Metzger und sein Team in den Krebszellen sogar die genetische Signatur einer anderen Art - die der Getupften Teppichmuschel (Venerupis corrugata). Und das, obwohl bei dieser Art im Freiland noch keine Krebserkrankung festgestellt wurde.
Suchen sich Krebszellen einen neuen Wirt
Daher vermuten die Forscher, dass die Getupfte Teppichmuschel im Verlauf der Evolution einen Weg zur Bekämpfung des Krebses gefunden hat. Dieser habe möglicherweise daraufhin zu einer anderen Art gewechselt. "Unsere Versuche legen nahe, dass die Übertragung ansteckender Krebszellen ein weit verbreitetes Phänomen in der marinen Umgebung ist", schreiben die Forscher.
Bisher gilt die Übertragung von Tumoren zwischen Arten als Ausnahme. Insgesamt seien nur acht ansteckende Krebslinien bei Tieren bekannt: Eine bei Hunden, zwei beim Tasmanischen Teufel - einem Beuteltier - und fünf bei vier Arten von Muscheln.
Das Potenzial von Krebszellen, zu freilebenden, infektiösen Agenzien zu werden, werfe die Frage auf, was das für die Ansteckung von Krebs beim Menschen bedeutet, schreibt Elizabeth Murchison von der University of Cambridge (Großbritannien) in einem Kommentar zu dem Artikel. Bisher sei so eine Übertragung von Mensch zu Mensch in seltenen Fällen zum Beispiel nach Organtransplantationen oder in der Schwangerschaft beobachtet worden.
Infektionen immer mehr im Fokus der Krebsforschung
Es seien aber jeweils Einzelfälle, die zudem nie über die beteiligten zwei Personen hinausgingen. Dennoch sei "das Krebsrisiko in vielzelligen Organismen angeboren." Der "grundlegende evolutionäre Antrieb dieser Erkrankung" respektiere "keine individuellen Grenzen und noch nicht einmal Artgrenzen", so Murchison.
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Frage, inwieweit Tumore durch Infektionen ausgelöst werden, immer stärker in den Fokus der medizinischen Forschung geraten. Einzelne Krebsarten können nicht nur durch eine Übertragung von Zellen, sondern zum Beispiel auch durch Bakterien oder auch Viren hervorgerufen werden.
Zum Beispiel kann eine Infektion mit dem Bakterium Helicobacter-pylori zu Magengeschwüren und Magenkrebs führen. Die Hepatitis-B oder Hepatitis-C-Viren werden für Leberkrebs verantwortlich gemacht.
dpa/fs/cb