Kreuzbandriss - schwere Verletzung mit guter Prognose
28. April 2024Welche Funktion hat das Kreuzband?
In beiden Knien gibt es jeweils ein vorderes und ein hinteres Kreuzband. Sie verbinden den Oberschenkelknochen mit dem Schienbein und stabilisieren das Kniegelenk nach vorne und hinten sowie bei Drehbewegungen. Neben den Kreuzbändern gibt es Außen- und Innenband sowie die Menisken [Anm.d.Red.: halbmondförmige Knorpelscheiben zwischen dem Unter- und Oberschenkelknochen].
Alle Bänder begrenzen gemeinsam die Streckung des Knies, sodass es im Normalfall nicht überstreckt wird. Außerdem schränken sie die Rotation des Kniegelenks ein. Dabei werden sie von der Gelenkkapsel, Sehnen und umgebender Muskulatur unterstützt. Je besser die stabilisierende Muskulatur ausgebildet ist, umso geringer ist die Gefahr, einen Kreuzbandriss zu erleiden.
Wie kommt es zum Kreuzbandriss?
Werden die Kreuzbänder durch eine plötzliche Drehbewegung, eine Überstreckung oder das Wegknicken des Knies zur Seite überlastet, können sie teilweise oder komplett reißen. Das vordere Kreuzband ist dabei zehnmal häufiger betroffen als das hintere, weil es länger und dünner ist. Die meisten Kreuzbandrisse sind sogenannte Non-Contact-Verletzungen. Das bedeutet, sie passieren ohne Fremdeinwirkung oder direkten Kontakt zum Gegner, zum Beispiel bei einem Foul im Fußball.
Vielmehr sind Landungen auf einem Bein, abruptes Abstoppen und plötzliche Richtungswechsel die häufigsten Ursachen für eine Ruptur. Der Patient merkt dabei meist einen stichartigen Schmerz im Knie. Es schwillt in der Regel in den Stunden nach der Verletzung an, weil sich durch den Riss Flüssigkeit im Gelenk sammelt.
Was sind die akuten Folgen?
Man kann das Knie wegen Schmerzen und Schwellung meist nicht mehr gut bewegen und nur noch leicht beugen. Bei Belastung entstehen Schmerzen. Zudem ist das Kniegelenk durch die fehlende Funktion der Bänder instabil - es verrutscht beim Gehen wie eine Schublade. In vielen Fällen ist das Kreuzband nicht die einzige Struktur im Knie, die beschädigt wurde. Außen- und Innenband, Menisken und Knochen können ebenfalls betroffen sein.
Es kann allerdings in seltenen Fällen auch vorkommen, dass ein Kreuzband reißt, ohne dass der Patient etwas davon mitbekommt. Solche Kreuzbandrisse fallen dann oft erst später dadurch auf, dass Schäden an den Menisken oder den Knorpeln im Knie entstanden sind.
Wie werden Kreuzbandrisse behandelt?
Ein gerissenes Kreuzband wird entweder operiert oder konservativ behandelt. Bei der Operation, auch Kreuzbandplastik genannt, werden die gerissenen Teile des Kreuzbands entfernt und durch ein Transplantat aus körpereigenem Sehnenmaterial ersetzt. Es gibt aber auch Transplantate aus Spendermaterial oder synthetischer Herstellung. Normalerweise wird die OP erst Wochen oder sogar Monate nach der Verletzung durchgeführt, weil dann die Schwellung abgeklungen und das Knie wieder gut beweglich ist.
Bei der konservativen Behandlung wird das Knie zunächst für mehrere Wochen ruhiggestellt und mit einer Schiene stabilisiert. Sind die Enden des gerissenen Kreuzbands noch in engerem Kontakt miteinander, kann das Kreuzband in seltenen Fällen sogar von selbst wieder zusammenwachsen. In der Regel funktioniert das beim vorderen Kreuzband allerdings nicht. Beim hinteren, das kürzer und kompakter ist, sind die Chancen größer. Zur konservativen Behandlung gehört immer auch ein gezieltes Training der Muskeln rund um das Knie. Sie sollen das Knie stabilisieren und so die Funktion des fehlenden Kreuzbands übernehmen.
Was sind Langzeitfolgen eines Kreuzbandrisses?
Kreuzbandrisse können in der Folge zu einer veränderten Statik im Kniegelenk führen und damit zu Fehlbelastungen. Das gilt für operierte Kreuzbandrisse genauso wie für unbehandelte, allerdings ist bei den unbehandelten das Risiko höher. Die Belastung der Menisken und Gelenkknorpel nimmt zu. Das kann zu Rissen im Meniskus und zu Arthrose führen, dem irreversiblen Abbau der gelenkschützenden Knorpelflächen im Kniegelenk. Im schlimmsten Fall ist irgendwann ein künstliches Kniegelenk nötig.
Warum haben Frauen ein höheres Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden?
Frauen haben anatomisch, genetisch und hormonell schlechtere Voraussetzungen als Männer. Weil sie ein breiteres Becken haben, neigen Frauen zur X-Bein-Stellung, die einen Kreuzbandriss bei entsprechender Krafteinwirkung auf das Knie begünstigt. Die weibliche Muskulatur ist in der Regel schwächer ausgeprägt als die männliche, sodass auch die stabilisierende Funktion weniger stark ist.
Und auch die Hormone spielen eine Rolle: In der zweiten Hälfte des Zyklus macht das Sexualhormon Progesteron die Bänder im weiblichen Körper weicher und das Kreuzbandrisiko steigt. Insgesamt ist es für Frauen etwa doppelt so hoch wie für Männer.
Wie lange fällt man mit einem Kreuzbandriss aus?
Das hängt von der Schwere der sonstigen Verletzungen im Kniegelenk ab und von der Sportart, die man betreibt. Bei einem reinen Kreuzbandriss ohne Beteiligung weiterer Bänder, Knochen oder der Menisken dauert es in der Regel sechs bis neun Monate, bevor man wieder wettbewerbsfähig ist. Normalerweise spricht auch nichts dagegen, nach einem ausgeheilten Kreuzbandriss wieder Sport zu trieben.
Bei entsprechender Physiotherapie kann man etwa sechs Wochen nach der OP auf einem Fahrrad-Ergometer trainieren oder schwimmen gehen. Sportarten ohne plötzliche Richtungswechsel und große Krafteinwirkung durch Sprünge und Landungen wie Laufen, Schwimmen und Radfahren sind nach einem halben Jahr wieder möglich. Bei Mannschaftssportarten wie Fußball und Basketball, auch bei Tennis oder Ski alpin dauert es normalerweise zwei bis drei Monate länger bis zum Comeback. Oft spielt auch die psychische Komponente eine große Rolle. Es braucht mitunter Zeit, bevor die Patienten ihrem geheilten Knie wieder vertrauen.
Trotzdem gab es schon Sportler, die schneller wieder fit waren. Ein prominentes Beispiel ist Ex-Fußball-Nationalspieler Sami Khedira, bei dem Mitte November 2013 das Kreuzband riss und der Anfang Mai 2014 wieder auf dem Platz stand. Kurz danach gewann er mit Real Madrid die Champions League und wurde anschließend mit Deutschland Weltmeister.
Funktioniert Leistungssport auch ohne Kreuzband?
Im Schwimmen, Laufen, Radsport oder anderen Sportarten mit geringerer Belastung der Knie ist das sicherlich möglich, bei Sportarten mit hoher Knie-Belastung allerdings eher nicht zu empfehlen - wie einige Bespiele zeigen: US-Skirennfahrerin Lindsey Vonn verzichtete nach einem schweren Sturz im Winter 2013/2014 auf eine Kreuzband-Operation, um die Olympischen Spiele in Sotschi nicht zu verpassen. Sie musste ihren Olympia-Traum einige Wochen später wegen starker Schmerzen und anhaltender Knieschwellung aufgeben, die Saison vorzeitig beenden und sich operieren lassen.
Fußballstar Zlatan Ibrahimovic spielte 2022 ein halbes Jahr lang mit gerissenem Kreuzband weiter und gewann mit der AC Mailand die italienische Meisterschaft. Allerdings konnte er kaum trainieren und, wenn überhaupt, jeweils nur ein paar Minuten mitspielen. "Sechs Monate lang habe ich wegen der Schmerzen kaum geschlafen. Ich habe noch nie so sehr auf und neben dem Spielfeld gelitten", schrieb der Schwede auf Instagram, bevor er sich nach der Saison einer Operation unterziehen musste.
Deutschlands ehemaliger Fußball-Nationaltorhüter Toni Schumacher zog sich 1972 - noch vor seiner Profikarriere - als 18-Jähriger einen Kreuzbandriss zu, entschied sich aber gegen eine Operation. Seine gesamte Laufbahn (1973 bis 1996) spielte er mit "Wackelknie", bezahlte diese Entscheidung allerdings mit schweren Folgeschäden und Schmerzen, die seine Lebensqualität nach der Karriere deutlich einschränkten.
Sehr ungewöhnlich ist der Fall Joana Hählen: Die Skirennläuferin aus der Schweiz brach Ende Januar 2024 die Weltcup-Abfahrt in Cortina d'Ampezzo mit starken Knieschmerzen ab und wurde mit Verdacht auf Kreuzbandriss in die Klinik gebracht. Dort stellten die Ärzte fest, dass ihr rechtes vorderes Kreuzband tatsächlich nicht mehr intakt war. Wie Untersuchungen zeigten, war es aber bereits zwei Jahre zuvor bei einem Sturz gerissen. Damals war man nur von einem Anriss ausgegangen. Im linken Knie Hählens fehlt das vordere Kreuzband sogar schon seit über sechs Jahren. Sie hatte es sich 2017 gerissen, aber auf eine OP verzichtet. "Es ist sicher viel Arbeit mit Physiotherapie und Knieübungen", sagt Hählen. "Aber ich kann es gut mit meiner Muskelkraft und meiner Größe kompensieren."