Kreuzfahrt: Captain's Dinner ohne Virus?
14. Juni 2020Es waren Bilder, die man so schnell nicht vergisst: Hunderte oder Tausende von Urlaubern, die ihr "Traumschiff" nicht verlassen durften. Urlauber, die auf ihrem Kreuzfahrtschiff eingesperrt blieben und nicht an Land gehen und nach Hause fahren durften. Und das nur, weil an Bord jemand mit COVID-19 infiziert war.
Ganz zu schweigen von der seelischen Belastung, weil der Passagier in der Nachbarkabine erkrankt ist. Oder hat er nur einen chronischen Husten und ist gar nicht infiziert? Wer soll das wissen? Und wie den anderen aus dem Weg gehen, wenn man ihnen beim Essen oder auf dem Promenadendeck so nahe kommt?
Für Reeder und Reiseveranstalter brechen jedenfalls neue Zeiten an. Es geht jetzt nicht mehr nur darum, Urlaubern eine Koje und ein warmes Buffet zu bieten. Es müssen ganz neue Konzepte her, will man Zustände wie eingangs beschrieben vermeiden.
Grundsätzlich zuversichtlich
Dass es überhaupt weitergeht mit den Urlauben in den schwimmenden Bettenburgen, daran scheint es keinen Zweifel zu geben. TUI Cruises etwa blickt "weiterhin positiv in die Zukunft." Unternehmenssprecherin Friederike Grönemeyer versicherte gegenüber DW: "Trotz der abgesagten Reisen verzeichnen wir über das Gesamtjahr immer noch eine gute Auslastung."
Viele Gäste hätten sich für eine Umbuchung entschieden oder hielten "an bereits getätigten mittel- und langfristigen Buchungen fest": Es würden bei TUI weiter neue Reisen gebucht, und zwar "auch für das Jahr 2021. Wir haben vor einigen Wochen die Reisen für den Winter 2021/2022 geöffnet und auch diese Fahrten werden bereits gebucht."
Durch die allgemeinen Lockerungen könnten ab dem Ende des Monats wieder viele Schiffe ablegen, so der Reisevermittler Kreuzfahrtberater. Hier sieht man die Traumschiffe wieder auf dem Weg in tiefes und sicheres Fahrwasser. Geschäftsführer Frank Riecke auf schriftliche Anfrage der DW: "Ja, es gibt ganz eindeutige Anzeichen einer Erholung bezüglich des Buchungsverhaltens."
V oder U? Das Alphabet der Krise
Bei der Frage, wie die Wirtschaft aus der Krise kommt, haben sich Ökonomen dieses Bild ausgedacht: Kommt die Krise schnell und heftig, gibt es ein sehr tiefes Tal, an dessen Ende ein steiler Aufstieg steht - graphisch gesehen ein V. Muss die Wirtschaft dagegen eine lange dunkle Talsohle durchschreiten, sähe der Kurvenverlauf aus wie ein breites U.
Bei TUI ist man zuversichtlich: "Unsere Buchungslage stimmt uns weiterhin optimistisch - wir glauben daher eher an die erste Variante." Etwas differenziertere ist der Ausblick, den die Kreuzfahrtberater anbieten - von beidem etwas: "Wir erwarten Ende des zweiten Halbjahres eine sehr schnelle Erholung. Bis die Talsohle allerdings komplett durchschritten ist und die Branche wieder auf 'Pre-COVID-19-Niveau' sein wird, wird es einige Zeit dauern."
Eine dritte Variante hören wir aus Bremerhaven, dem Sitz der Lloydwerft, die auch Kreuzfahrtschiffe baut. Hier ist man deutlich zurückhaltender. Unternehmenssprecher Marco Graudenz auf DW-Anfrage: "Alles, was wir von den Kreuzfahrt-Reedereien hören und lesen, deutet auf eine eher breite und langanhaltende Talsohle hin."
"Wir fahren auf Sicht"
Die Schiffsbauer sind nur indirekt betroffen. Bevor Reeder Aufträge vergeben oder stornieren, beobachten sie den Markt lange, um nicht eine möglicherweise falsche Entscheidung zu treffen. Florian Feimann vom Schiffbauer Meyer im Emsland: "Der Neubau von Kreuzfahrtschiffen ist letztlich erst mittelbar betroffen."
In Papenburg an der Ems sieht das so aus: Im vergangenen Jahr hat die Meyer-Werft drei Kreuzfahrtschiffe ausgeliefert. In diesem Jahr sollte dieser Erfolg wiederholt werden - doch gerade liegen drei halbfertige Schiffe in der Werft, die noch nicht ausgeliefert werden. Seit Mai gibt es im Emsland Kurzarbeit, der Spardruck ist enorm - Beobachter sprechen von mehr als einer Milliarde Euro.
Die Papenburger Meyer-Werft ist in Deutschland ein großer Player, der jährlich rund 70 Prozent der hierzulande verbauten Schiffstonnage herstellt. Wenn die Werft nun Entlassungen ankündigt und die anstehenden Aufträge strecken will, während sie mit der Landesregierung über Staatshilfen verhandelt, ist nur verständlich, dass Werftsprecher Peter Hackmann der Deutschen Presseagentur gegenüber eingesteht: "Wir fahren auf Sicht."
Essen als Gemeinschaftserlebnis
Im Gegensatz zu den Schiffbauern müssen Reiseveranstalter und Reeder sofort handeln. Sie müssen Hygienestandards erhöhen und Ansteckungsgefahren minimieren. Das ist natürlich nicht einfach, wenn das Urlaubsmodell Kreuzfahrt darauf beruht, etwas zu tun, das andere auch machen, weil es andere auch machen - Kreuzfahrten sind auch eine Art Gemeinschaftserlebnis.
Da sei schon einiges geschehen, antwortete Friederike Grönemeyer von TUI "Die Platzverhältnisse an Bord der Mein-Schiff-Flotte sind sehr großzügig." Doch TUI Cruises werde noch weitergehen: "Wir werden nicht mit voller Auslastung starten. Darüber hinaus erarbeiten wir Anpassungen für den Check-in und den Gästebetrieb an Bord, unter anderem für den Hotelbereich sowie das sonstige Programm an Bord."
Essen als Infektionsrisiko
Insgesamt, so der Geschäftsführer der Kreuzfahrtberater, werden die "Kunden erstaunt sein, wie professionell und grundlegend sich die große Mehrheit der Reedereien mit diesem Thema auseinandersetzen und überzeugende Konzepte umsetzen" werden.
Es sei aber immer mit Schwierigkeiten zu rechnen, die nicht einfach zu lösen seien. Als Beispiel nennt Frank Riecke das Essen, das an Bord nicht nur ein lukullisches Erlebnis sein soll, sondern auch als gesellschaftliches Ereignis wahrgenommen wird. Gemeinsames Essen bietet viele Möglichkeiten, sich anzustecken.
Riecke formuliert das so: "Es gibt natürlich auch Kunden, für die gerade große Tische, an denen man gemeinsam mit anderen Gästen isst, ein wichtiger Bestandteil ihrer Kreuzfahrt sind. Dies sind aber unter zehn Prozent der Gäste." Doch zehn Prozent, das haben wir von den Virologen gelernt, reichen locker, um eine Seuche loszutreten.