"Abnormal": Fotos aus der umkämpften Ukraine
Vom Schrecken des Krieges und dem Willen zum Widerstand erzählt die Fotoausstellung "The New Abnormal" im Museum Deichtorhallen Hamburg.
Ausbildung von Zivilisten
Zivilisten trainieren mit Behelfswaffe aus Holz für den Ernstfall: Diese Aufnahme entstand am 6. Februar 2022 in der Nähe von Kiew - noch vor dem Einmarsch der Russen. Denn anders als in vielen westlichen Staaten war man in der Ukraine sicher, dass Putins Armee das Land überfallen würde. Die Fotografin Oksana Parafeniuk hat den Willen ihrer Landsleute zum Widerstand auf Zelluloid gebannt.
"Das Flüstern der Sirenen"
Am 24. Februar wurde Mykhaylo Palinchak in Kiew vom Geheul der Sirenen aus dem Schlaf gerissen, kurz darauf hörte er ganz in der Nähe eine Explosion. "Seitdem leben wir in einer neuen Welt", sagt er. Seine Fotos zeigen Handgranaten, zerstörte Häuser - und wie seine Landsleute mehr denn je zu ihrer Heimat stehen: Diese Frau hat sich die Umrisse der Ukraine auf den Arm tätowiert.
5 Uhr morgens
"Krieg ist der schlimmste Auswuchs der Menschheit. Kein Film, kein Buch, kein Foto kann dieses Grauen vermitteln", sagt Lisa Bukreieva. "Als die Russen einfielen, hat sich mein Zeitgefühl verändert. Es ist einfach nur ein langgezogener Schrecken." Auf dem Foto hat die Fotografin die Uhrzeit festgehalten, als für sie der Krieg begann.
Die Bürger von Kiew, Teil 1
Nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine habe sich Kiew in eine andere Stadt verwandelt, sagt Alexander Chekmenev. Viele Menschen sind geflohen, auch der 52-Jährige brachte seine Familie im Ausland in Sicherheit. Er selbst blieb und dokumentierte mit seiner Pentax-Kamera das Leben der Kiewer Bürger in Kriegszeiten - auch das dieser Ukrainerin, die gegen die Eindringlinge kämpft.
Die Bürger von Kiew, Teil 2
Überall in der ukrainischen Hauptstadt entstanden Luftschutzkeller, Erste-Hilfe-Stationen und Feldküchen. Dort hat Chekmenev ganz normale Menschen abgelichtet, die noch nie im Rampenlicht standen: "Ich wollte ihre Würde zeigen. Dieses Land gehört den Menschen, und ich möchte jedem von ihnen meinen Respekt erweisen", so der international renommierte Fotograf.
"Spuren der Gegenwart"
In seiner Fotoreihe hat Pavlo Dorohoi das Leben in Kriegstagen in seiner Heimatstadt Charkiw festgehalten. Viele Menschen haben sich in der Metrostation verschanzt, um dem Bombenhagel zu entkommen. Die Menschen versuchen, diesen Ort in ein vorübergehendes Zuhause zu verwandeln. "Sie haben Teppiche, Decken und andere Dinge mitgebracht und ihren persönlichen Bereich abgesteckt", erzählt Dorohoi.
Butscha: Ort des Grauens
Der Kiewer Architekt und Fotograf Nazar Furyk hat Orte fotografiert, die von den russischen Truppen verwüstet wurden - auch in der Stadt Butscha, die zum Synonym für viele Gräueltaten wurde. Wie kann man an so einem Ort weiterleben, fragt sich Furyk. Wie gehen die Menschen mit dieser Erfahrung um, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der ukrainischen Bevölkerung eingebrannt hat?
Momentaufnahmen: Tagebuch aus Kiew, Teil 1
Die Fotografin und Videokünstlerin Mila Teshaieva führt seit Kriegsbeginn Tagebuch - sie hat alles aufgezeichnet: von der panischen Flucht in den ersten Tagen vor den Raketen bis hin zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die bekannt wurden. Nachlesen kann man das im Internet - oder, wie hier, auf ihren Fotos verfolgen.
Momentaufnahmen: Tagebuch aus Kiew, Teil 2
Mila Teshaieva hat viel von der Verzweiflung berichtet, die der Krieg über die Menschen gebracht hat. Sie beschreibt aber auch den Zusammenhalt und den ungebrochenen Widerstandswillen der Ukrainerinnen und Ukrainer. In ihrer Heimatstadt Kiew versuchen die Menschen, nicht nur sich selbst zu schützen, sondern auch ihre Denkmäler: ein Symbol ihrer nationalen Identität.
Dokumentation des Krieges
Vladyslav Krasnoshchok ist eigentlich Zahnarzt, hat sich aber der Kunst verschrieben. Jetzt fährt er durch seine verwüstete Heimat und schießt Bilder von brennenden Autos, kaputten Brücken und Panzern. "Ich fotografiere, ich höre Schüsse, ich renne zum Wagen zurück. Adrenalin", schreibt er. Seine Filme entwickelt er immer sofort - wer weiß, ob es Gelegenheit gibt, noch mehr Fotos zu machen.
Verstümmelt
"Mit der Angst leben, von Menschen verletzt zu werden": So hat der Designer Sasha Kurmaz seine Bilderserie genannt. Gewalt ziehe sich von Anbeginn durch die Geschichte der Menschheit, sagt er - und ist pessimistisch, dass sich das bald ändern wird. Den individuellen Kampf für eine bessere Welt will er aber nicht aufgeben.
Ein sicherer Hafen?
"Chairs" hat Elena Subach dieses Foto betitelt. Ein Stuhl und ein paar Getränke in der Stadt Uzhgorod im Westen der Ukraine symbolisieren Sicherheit für die Menschen, die von hier über die Grenze ins Ausland fliehen. "Fast jeder Mann hat ein Foto seiner Frau und seiner Kinder gemacht, bevor er sie verabschiedet hat", sagt Subach. "Ich habe nie so viel Liebe und so viel Schmerz zugleich gesehen."
Die Ausstellung "The New Abnormal" ist vom 3. September bis 6. November 2022 im Phoxxi zu sehen, dem temporären Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg. Die Schau ist eine Kooperation mit dem Odesa Photo Days Festival und versammelt Werke von zwölf ukrainische Fotografinnen und Fotografen.